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Zur Bundespräsidentenwahl

Die Wahl zum Bundespräsidenten ist schon rund drei Wochen her, aber man vergisst so schnell. Ich habe daher an dieser Stelle meine Gedanken samt Weblinks zum gesamten Spektakel gesammelt, damit ich in fünf Jahren noch einmal nachschlagen kann.

Prolog

Am 31.05.2010 ist eingetreten, was es noch nie gab: Der amtierende Bundespräsident Deutschlands, Horst Köhler, tritt von seinem Amt zurück. Offiziell führt er an, die respektlose Kritik auf seine Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr hätten ihn dazu bewegt – es wird allerdings spekuliert, ob diese Begründung nicht nur vorgeschoben und vielmehr Druck der Bundesregierung verantwortlich sei. Auch wenn es keine Rolle spielt: Es wird diskutiert, ob der Bundespräsident staatsrechtlich überhaupt zurücktreten könne. Persönliche Notiz: Ich mochte Horst Köhler als Bundespräsidenten.

1. Akt: Die Kandidatenkür

Bei den Parteien ging sodann in Windeseile die Suche nach geeigneten Kandidaten los, denn dreißig Tage später stand schon die Neuwahl an. Eigentlich soll der Bundespräsident überparteilich handeln und politisch neutral sein. Doch was macht die regierende CDU? Sie schaut sich erst einmal in den eigenen Reihen der aktiven Politiker um. Wolfgang Schäuble, Bundesminister für Finanzen, war kurzzeitig im Gespräch, dann sah es jedoch erst einmal so aus, als würde Ursula von der Leyen das Rennen machen. Telepolis sah in ihr allerdings die denkbar schlechteste Alternative und im Internet machte schnell das Mem „not my president“ die Runde – kein Wunder, ist Frau von der Leyen doch in netzaffinen Kreisen eher als Zensursula bekannt, weil Sie sich für Netzsperren stark gemacht hatte, deren Tauglichkeit äußerst fraglich ist. Schließlich wurde Christian Wulff nominiert, der damals amtierende Ministerpräsident in Niedersachsen.

Es ist mir schleierhaft, wie jemand von jetzt auf gleich überparteilich werden können soll, wenn er intensiv in die Politik der Partei involviert ist und deren Interessen vertritt. Der dahinter zu vermutende Grund dürfte aber klar sein: Mit einem Aktiven aus den eigenen Reihen als Staatsoberhaupt dürfte es einfacher werden für die Regierung, ihre Interessen durchzusetzen.

Interessant ist die kleine „Affäre“ um die Kurznachrichten, die zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und SPD-Parteichef Sigmar Gabriel ausgetauscht wurden und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Offenbar hatte die SPD zuvor Joachim Gauck als gemeinsamen Kandidaten von CDU, CSU, FDP, SPD und den Grünen vorgeschlagen. Der ehemalige Bürgerrechtler aus der DDR war seit zehn Jahren nicht mehr politisch aktiv gewesen und wird auch in Unionskreisen hoch geachtet, bringt er doch ein konservatives Profil mit und war 1999 bereits von der CSU als Kandidat für das Bundespräsidentenamt gehandelt worden. Jörn Schönbohm (CDU), ehemaliger Innenminister von Brandenburg, fragte auch öffentlich, warum „es nicht möglich war, sich im bürgerlichen Lager mit der SPD auf Gauck zu einigen.“ Da muss er seine Chefin fragen. Frau Merkel soll das Angebot bloß mit „Danke fuer die info und herzliche grüße am“ per SMS quittiert haben. Ein persönliches Gespräch scheint ihr dieses wichtige Thema nicht wert gewesen zu sein.

SPD und Grünen nominierten Joachim Gauck schließlich als Gegenkandidaten zu Christian Wulff, was ihnen als kluger Schachzug ausgelegt wurde: Einerseits genießt er Rückhalt innerhalb der Regierungskoalition, andererseits setzte er die Linkspartei unter Zugzwang. Wenn sie mit ihrer DDR-Vergangenheit tatsächlich abgeschlossen hätte, hätte sie auch für Gauck stimmen können. SPD und Grüne beteuern, keine solchen Gedanken als Entscheidungsgrundlage gehabt und lediglich einen überparteilichen Kandidaten ausgesucht zu haben. Es wird spannend zu sehen, nach welchen Kriterien die beiden Parteien das nächste Mal nominieren, wenn sie nicht in der Rolle der Opposition stecken.

2. Akt: Die Wahl

Am 30. Juni 2010 wurde der Bundespräsident gewählt. Ich weiß gar nicht, wie oft betont wurde, dass es sich dabei um eine freie und geheime Wahl handelt. Jedes Mitglied der Bundesversammlung könne frei entscheiden, also beispielsweise auch Mitglieder der Regierungskoalition für Joachim Gauck stimmen – genau so, wie es in §7 des Gesetzes zur Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung festgehalten ist. Interessant nur, dass eben diese Forderung von Kurt Biedenkopf (CDU) bei vielen seiner Parteikollegen auf Unmut stieß. Seltsam ist außerdem, dass Dagmar Schipanski (CDU) von der Vorschlagsliste der Angehörigen der Bundesversammlung gestrichen wurde, nachdem sie ihre Sympathie für Gauck bekundet hatte. Die Ergebnisse lassen zudem auch Raum für Kritik: Im ersten Wahlgang erhielt Wulff 600 Stimmen, im dritten waren es 625. Wie lässt sich das erklären? Entweder, es wurde Druck auf die Abgeordneten ausgeübt, so dass sie ihre Entscheidung trotz freier Wahl revidierten. Oder einige Mitglieder der Bundesversammlungen haben doch parteitaktisch entschieden – schwer zu glauben, dass so viele eine Gewissensentscheidung binnen weniger Stunden umstoßen und doch einen anderen Kandidaten wählen. Wahrscheinlicher ist eher ein Denkzettel für Frau Merkel oder die Regierungskoalition. Gibt es noch andere Deutungen?

Fern jedes parteitaktischen Verhaltens waren auch SPD, Grüne und Linke. Einerseits haben erstere wiederholt gefordert, die Wahl freizugeben und das Gewissen entscheiden zu lassen – im selben Atemzug aber die Linken aufgefordert, die Stimme Gauck zu geben. Und wenn es tatsächlich nie um Parteipolitik ging, wieso setzten sich alle drei Parteien nach dem zweiten Wahlgang zusammen und diskutierten, ob man nicht doch noch einen gemeinsamen Kandidaten aus dem Hut zaubern könnte, um Wulff doch noch etwas entgegen zu setzen? Allein der Gedanke…

3. Akt: Die Berichterstattung

Die gesamte Wahl wurde natürlich medial begleitet. Hier war es besonders spannend zu sehen, wie noch im vergangenen Jahr von den Qualitätsjournalisten Twitter in die Mangel genommen wurde, weil dort bereits vor der offiziellen Verkündung der Ergebnisse eben diese durchgesickert waren. Die Öffentlich Rechtlichen berichteten im Nachgang beispielsweise über die „Twitter-Affäre“ mit dem Titel „Kein Verständnis“ fürs Twittern. Tenor: So etwas ginge nicht! Erstaunlicherweise geht es aber offenbar doch, wenn die ARD selbst das Ergebnis durch Herrn Deppendorf schon Minuten vor der eigentlichen Bekanntgabe als Gerücht auf die Mattscheiben der Welt bringt.

Na, und wenn die ARD das darf, dann doch auch falsche Jubelbilder zeigen. Das war sicher nicht beabsichtigt, aber Applaus für das Ergebnis von Gauck wurde als Zustimmung für Wulff umgedeutet. Selbstkritik, wie erhofft, im Blog der Tagesschau? Keine Spur.

Epilog

Christian Wulff ist amtierender Bundespräsident. Warten wir ab, wie er seine Sache machen wird. Zu seiner Wahl schrieb der SPIEGEL in Ausgabe 26/2010 auf Seite 22 jedenfalls schon treffend vorher: „Die Bundesversammlung steckt in der Schraubzange von Parteiinteressen. Sie vollzieht eine Wahl, die keine ist.“ und zitiert den Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter: „Präsidentenwahlen sind immer auch parteipolitische Wahlen gewesen, doch bei dieser Wahl bringt sich das Parteipolitische unverhältnismäßig in den Vordergrund.“ Den Eindruck habe ich auch.

Ist die Piratenpartei schon gescheitert?

Die Wahl in Nordrhein-Westfalen ist gelaufen, die Stimmen eigentlich ausgezählt, nun geht das große Analysieren los: Richtig zugelegt haben nur Die Linke und die Grünen, alle übrigen Parteien dümpeln vor sich hin oder mussten Verluste hinnehmen und können sich eigentlich nicht als Sieger fühlen. Auch die Piraten nicht.

Brachte die Partei es im letzten Herbst bei der Bundestagswahl in NRW noch auf 158.585 Stimmen, haben nach dem vorläufigen Endergebnis rund 40.000 Wähler weniger ihren „Änderhaken“ gesetzt. Trotz geringer Wahlbeteiligung, der man eigentlich eine Stärkung der kleinen Parteien nachsagt, sank auch prozentual der Stimmenanteil auf 1,54%. Damit ist man zwar die sechstgrößte Partei nach den Linken, vom erträumten Einzug ins Landesparlament aber noch weit, weit entfernt.

Sollten am Ende all die Kritiker Recht behalten, die im Achtungserfolg bei der Bundestagswahl nicht mehr als ein rebellisches Aufbäumen der jungen „Nerds“ und „Geeks“ sahen? Ist die Piratenpartei schon gescheitert?

Ich denke nein! Aber vielleicht war man deutlich zu optimistisch. Man hat zwar angefangen, seine Hausaufgaben zu machen und sich ausgehend von eng begrenzten Kernthemen breiter aufzustellen – fertig ist man aber noch lange nicht und es müssen noch zahlreiche Felder beackert werden! Und aus der Betriebswirtschaftslehre lernt man: Es kommt auch bei Kernkompetenzen nicht darauf an, dass man meint, solche zu haben. Vielmehr kommt es zum einen auf den wahrgenommenen „Kundennutzen“ an: Wenn den Bürgern nicht klar wird, dass sich das Einstehen für Freiheit und Bildung (momentan aus meiner Sicht die beiden Eckpfeiler der Piraten) für sie lohnt, bringt die schönste Expertise nichts. Zum anderen müssen sich Kernkompetenzen daran messen, ob sie von den Mitbewerbern nur schwer nachzuahmen sind. Die Piraten haben andere Parteien zumindest aufgeschreckt und ihnen deutlich gemacht, dass es mit dem Internet ein bisschen mehr auf sich hat als bloß bei Youtube Filme angucken und bei Amazon Bücher kaufen – nun werden auch dort die Hausaufgaben gemacht; gerade die Grünen sind nicht untätig.

Ist also die Piratenpartei vielleicht irgendwann überflüssig? Vielleicht. Aber wenn ich mir momentan nur die Absurditäten des Urheberrechts ansehe, die zunehmende Bevormundung und Überwachung der Bürger oder die Bildungsmisere, dann ist es jedenfalls momentan noch nicht so weit. Auf dem Weg liegen auch Steine. Weiter geht’s. Aber zügig!