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Machste mal meine Hausaufgaben, bitte?

Erinnert ihr euch an 2017? Da fanden in Deutschland Bundestagswahlen statt. Die neu gewählte Bundesregierung hat sich danach ins Hausaufgabenheft (Koalitionsvertrag) geschrieben, eine OER-Strategie entwickeln zu wollen. Was in der Zwischenzeit bis heute geschah, weiß ich nicht. Aber der Abgabeschluss naht. Im September wird neu gewählt, und dann gucken im Wahlkampf wieder alle auf das, was aus dem Koalitionsvertrag tatsächlich umgesetzt wurde und bemängeln Fehlendes. Das ist lästig.

Nachdem nun offenbar die für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) wichtigeren Dinge bearbeitet worden sind, scheint die Zeit für das Thema OER gekommen zu sein. Kürzlich bin ich unverhofft von ihnen angeschrieben worden. Ich bin, wie andere auch, eingeladen worden, bei der Entwicklung der OER-Strategie für Deutschland mitzuwirken. Viele Informationen dazu habe ich nicht bekommen, aber dann später bei der Open Knowledge Foundation ein paar Details gefunden.

Konkret habe ich ein paar Thesen und Fragen zu OER aus dem Feld „Technik“ bekommen, andere zu den Bereichen „Mensch“ und „Gesellschaft“. Wie die Thesen entstanden sind, weiß ich leider nicht. Ich habe jedenfalls wunschgemäß eine Antwort verfasst und dem BMBF zukommen lassen — nur falls sich jemand fragt: unentgeltlich. Daraus sollen neue Thesen extrahiert werden, um sie Mitte April themenfeldübergreifend zu diskutieren. Ich bin durchaus gespannt, denn ich habe das Gefühl, man müsste eigentlich wieder einen Schritt zurück gehen und die irgendwann einmal aufgestellten Thesen überprüfen.

Damit ihr meine Skepsis besser versteht, habe ich euch die mir überlassenen Thesen und Fragen und meine Antworten hier bereitgestellt. Wer mag, darf natürlich auch gerne in der aktuellen Episode von Bildung-Alt-Entfernen Anjas und meinen Gedanken dazu lauschen oder auch denen von Markus Deimann und Christian Friedrich.

Übergeordnete Fragen

Welche technische Infrastruktur ist notwendig um OER in der Breite im Bildungsbereich verfügbar und nutzbar zu machen? Wie kann diese von Beginn an nachhaltig ausgestaltet werden und so Vorbildwirkung entfalten?

Teil 1

  • These: Die Etablierung von OER benötigt entsprechend der zuvorderst digitalen Natur der Materialien eine technische Infrastruktur, die die Speicherung, den Zugang und die Verteilung für die Anwendenden mit einer möglichst geringen technologischen Hürde ermöglicht. Daher soll ein flächendeckender Ausbau von angemessener technischer Infrastruktur befördert werden.
  • Frage: Ist ein zentrales Repositorium sinnvoll? Vs. Referatorium vs. Länderlösungen?

Bevor ich konkret auf die Frage eingehe, schicke ich einige Gedanken zu den angeführten Thesen vorweg.

Die Leitfrage danach, welche technische Infrastruktur notwendig sei, um OER in der Breite im Bildungsbereich verfügbar und nutzbar zu machen, kann nicht sinnvoll lediglich aus technischer Sicht beantwortet werden. Wir betrachten ein sozio-technisches System. Auf dessen Makroebene spielen sozio-kulturelle und politisch-rechtliche Aspekte meiner Ansicht nach eine weitaus gewichtigere Rolle als die Technik.

Zu den sozio-kulturellen Gesichtspunkten zählt etwa eine mangelnde Kultur des Teilens, die Deimann und Bastiaens (2010: 11) vor gut zehn Jahren als Hürde für die Verbreitung von OER an Hochschulen ausgemacht haben. Auf Grundlage persönlicher Gespräche jüngerer Zeit mit Personen auch aus verschiedenen Bildungsbereichen wage ich die Hypothese aufzustellen, die Einschätzung habe noch heute Bestand und erstrecke sich auch auf Schulen, Volkshochschulen oder die außerschulische Weiterbildung.

Beim Blick auf politisch-rechtliche Aspekte denke ich vor allem an das aus der Zeit gefallene Urheberrecht. Es hat überhaupt erst den Anstoß zum Entstehen der OER-Bewegung gegeben, die sich über formale Aus- und Weiterbildung hinaus erstreckt und nicht lediglich Schulen und Hochschulen betrifft. Auf nationaler Ebene trägt der jüngst bekannt gewordene Regierungsentwurf für die Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie meiner Meinung nach nicht zu einer Verbesserung der Situation bei. Es steht im Gegenteil zu befürchten, dass die Vorgaben auf der Mikroebene des sozio-technischen Systems bei den Individuen die Furcht vor einem ungewollten Rechtsbruch verstärken. Dadurch würde sich die Bereitschaft zum offenen Teilen von Material eher noch verringern.

Kurzum: Der technischen Infrastruktur kommt eine bedeutsame unterstützende Funktion zu. Sie kann einen umfassenden und nachhaltigen Einsatz von OER ermöglichen. Sie allein kann aber ohne eine Beseitigung der politisch-rechtlichen und sozio-kulturellen Hürden den Einsatz von OER nicht etablieren. Technik ist selten ein gutes Mittel zum Lösen sozialer Probleme. Entsprechend wenig hilfreich sind daher vermutlich meine von den wichtigeren Einflussgrößen entkoppelten Antworten auf die vorliegenden Fragen.

Meine Antwort auf die übergeordnete Frage danach, wie die technische Infrastruktur von Beginn an nachhaltig ausgestaltet werden könne, lautet daher: Nicht durch die hier vorgesehene, von den anderen Thematiken losgelöste Betrachtung von Technik.

Eine weiteres, aus meiner Sicht bedenkliches und verkürztes Verständnis der Problematik vermute ich mit Blick auf die Wortwahl der These, dass die Etablierung von OER technische „Unterstützung bei der Speicherung, beim Zugang und bei der Verteilung“ erfordere. Diese These ist gewiss nicht falsch, aber unvollständig, wenn nicht mehr als das Verwalten digitaler Materialien darunter verstanden wird. Es fehlte in diesem Fall die Perspektive der „Open Educational Practices“ (OEP).

Hinter OEP verbirgt sich die Hoffnung, OER nicht lediglich als kostenlose Quelle von didaktisch aufbereiteten Inhalten zu begreifen, sondern über den Umgang mit denselben die bestehende Lehr-Lernpraxis zu verändern. Angestrebt ist beispielsweise eine seit langem diskutierte, aber kaum zu erkennende Abkehr von starren Lehrplänen und -zielen, die den Anforderungen des 21. Jahrhunderts nicht gerecht würden. Desweiteren sei eine verstärkte Zuwendung zu kollaborativen und diskursiven Methoden erforderlich (vgl. im Detail etwa Ehlers 2011 oder Mayrberger/Hofhues 2013).

Als Konsequenz lässt sich daraus ableiten, dass eine technische Infrastruktur für OER nicht nur mit Blick auf Speicherung, Zugang und Verteilung von Material zu gestalten wäre, sondern darüber hinaus auch Themen wie Kollaboration beim Erstellen von oder Unterstützung bei der Arbeit mit den Materialien berücksichtigt werden müssen. Im Zuge einer OER-Technik-Strategie ist eine Fokussierung auf Architekturoptionen für Repositorien daher ausdrücklich unzureichend.

Losgelöst von der oben skizzierten Problematik steht nun die Frage im Raum, ob ein zentrales Repositorium sinnvoll sei, ein Referatorium (mutmaßlich angelehnt an Dürkop 2017) oder einzelne Länderlösungen. In dieser Frage werden meiner Ansicht nach zwei unterschiedliche Ebenen auf unzulässige Weise vermischt.

Die erste Ebene beherbergt die Aspekte der Organisation bzw. der politischen und finanziellen Verantwortung und des Zugangs: zentrales Repositorium (beim Bund) oder einzelne, nur von Angehörigen der Länder zugänglichen Lösungen. Ich kann die Ursachen nicht einschätzen, die zu zahlreichen voneinander losgelösten Repositorien in verschiedenen Bundesländern geführt haben. Ich vermute verwaltungsrechtliche Rahmenbedingungen, „Bereichsdenken“ und auch das Ansinnen, wie auch immer gearteten lokalen Bedürfnissen innerhalb der Bundesländer besser gerecht werden zu können. Mit Blick auf die bereits angedeuteten Ziele von OEP ist diese Segmentierung aber vielfach Ausdruck des Gegenteils dessen, was erreicht werden soll. Zugang zu den Repositorien haben mitunter lediglich registrierte Lehrende der jeweiligen Bundesländer. Das ist kein offener Zugang, wie er in der Vision von OER angestrebt wird. Statt länderübergreifender Kollaboration und Nutzung von Synergieeffekten werden Abschottung und Ressourcenverschwendung vorgelebt. Das sind definitiv keine offenen Praktiken. Letztlich führt mit Blick auf die offene Lizenzierung von OER der an Landesgrenzen endende Zugang die Idee der Offenheit ad absurdum. Fun fact: Es werden hier technische Schranken eingeführt, um das rechtlich Erlaubte einzuschränken statt wie so oft andersherum rechtliche Schranken zu etablieren, die das technisch Mögliche begrenzen sollen.

Die zweite Ebene der Frage nach zentralem Repositorium, Referatorium oder Länderlösungen ist eine technische, und sie kann meines Erachtens zügig beantwortet werden: Eine zentrale Lösung ist in der IT oft keine gute Idee schon allein aus Gründen der IT-Sicherheit. Für Nutzer:innen ist es aus technischer Sicht zudem unerheblich, ob sie Materialien von einem Server aus Berlin, München oder vielleicht auch Oslo beziehen oder Material dort teilen – ob die von ihnen verwendete Software zur Kollaboration aus Baden-Württemberg kommt oder vielleicht aus Tokyo. Bei entsprechender Vernetzung, ggf. Replikation von Inhalten, Verwendung von Standards, die den Austausch ermöglichen und bei zusammengesetzten Werken idealerweise noch Zugriffsmöglichkeit auf die Quelldateien erlauben, sehe ich keinen Grund für eine zentrale oder lokale Lösung. Ich kann in Hinblick auf die Architektur die Idee eines Referatoriums begrüßen. Ich weise aber explizit nochmals darauf hin, dass der OER-Gedanke nicht bloß für formale Aus- und Weiterbildung von Belang ist und das Referatorium auch Quellen außerhalb von staatlichen Einrichtungen in Betracht ziehen sollte.

Teil 2

  • These: Open-Source-Technologien können dazu beitragen, dass Bildungsmaterialien unabhängig von spezifischen, proprietären Softwarelösungen sind.
  • Frage: Wie kann die Nutzung von Open-Source-Software im gesamten Erstellungsprozess von OER gefördert werden? Ist es überhaupt nötig? Um welche Art Software sollte es sich handeln?

Ich bin nicht sicher, ob der Kern dieser Fragen in den Bereich der Technik fällt. Zuvorderst scheint es sich mir um eine normative Frage zu handeln: Sollte offene Software gegenüber geschlossener Software bevorzugt werden?

Vordergründig bieten nicht-quelloffene, aber kostenfrei nutzbare Plattformen bereits genügend Möglichkeiten, um Inhalte zu finden, zu erstellen, zu bearbeiten und mit anderen zu teilen. Softwaregigant Google etwa lädt dazu ein, seine Texte mit GoogleDocs zu verfassen und anderen zur Verfügung zu stellen. Aus einer utilitaristischen Sicht liegt es nicht auf der Hand, weshalb man stattdessen zu quelloffenen Alternativen greifen sollte. Die Software funktioniert gut, bietet kaum praktische Zugangshürden und wird schon von vielen anderen genutzt. Geht es einzig um die Zweckorientierung, so ist die Parole „Offen ist, was Zugang schafft“ (Muuß-Merholz 2017) durchweg nachvollziehbar.

Der Quelltext für Google Docs ist allerdings nicht offen verfügbar. Niemand außer Google kann eine gleichwertige Instanz aufsetzen. Sollte Google irgendwann den Dienst einstellen wie bei Google Plus, Google Music, Google Reader und vielen weiteren geschehen, muss man hoffen, dass beim Exportieren in die Dateiformate anderer Programme nicht zu viele Details der Inhalte verloren gehen. Nachhaltigkeit kann auf diese Weise nicht sichergestellt werden. Dass die Daten zudem unter der Kontrolle Fremder stehen und sich Datenschutzfragen auftun, sei der Vollständigkeit halber erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt. Dass die Überlegungen auch Software wie beispielsweise Zoom für Videokonferenzen oder Microsoft Teams als Kollaborationsplattform betrifft, sei ebenso bloß genannt.

Es bedürfte zunächst einer politischen bzw. gesellschaftlichen Entscheidung, ob utilitaristische Argumente wie „sofort verfügbar“ und „sogar kostenlos betrieben“ einen höheren Stellenwert erhalten sollen als Techniksouveränität. Dafür sollte gegebenenfalls zunächst analysiert werden, inwiefern Techniksouveränität besteht und ob man sie anstreben sollte (vgl. dazu ausführlich Edler et al. 2020).

Auf EU-Ebene scheint allerdings bereits eine Marschrichtung vorgegeben worden zu sein. Im Oktober 2020 beschwor Ursula von der Leyen in ihrer Rolle als Präsidentin der Europäischen Kommission bezüglich der europäischen IT-Infrastruktur „Europas digitale Souveränität“ (von der Leyen 2020). Daraus ließe sich zumindest ableiten, eine technische OER-Infrastruktur in Deutschland sollte unter europäischer Hoheit stehen. Ein zwingendes Votum für offene Software ergibt sich daraus jedoch nicht.

Betrachtet man weiterhin aber die von von offener Bildung und offener Software geteilten Werthaltungen, liegt die Bevorzugung offener Software nahe. Es ergäbe sich mindestens ein ästhetisch rundes Gesamtbild, und im besten Fall könnte offene Software als Vehikel von Werten innerhalb von Gemeinschaften auch dabei helfen, diese in die Bildungswelt zu tragen (vgl. Coleman/Hill 2005). Ich denke dabei vor allem an Kollaboration – auch bei der Gestaltung der Software, die nicht bloß Aufgabe von Software-Entwickler:innen ist bzw. sein sollte.

Sei Open-Source-Software also gesetzt. Wie ihre Nutzung im Erstellungsprozess von OER für welche Art von Software gefördert werden könnte, hängt stark vom Erstellungsprozess ab – bzw. von den Erstellungsprozessen, denn es gibt nicht den einen. Trotz einiger Überschneidungen unterscheiden sich etwa das Vorgehen und die Anforderungen beim Erstellen eines Arbeitsblattes für den Einsatz im schulischen Klassenraum erheblich von denen der Erstellung eines Onlinekurses im Web, der der beruflichen Weiterbildung dienen soll. Ich sehe mich nicht imstande, die Frage ohne Präzisierung des Erstellungsprozesses zu beantworten. Es scheint mir aber so, als liefere Müller (2019) in seiner Betrachtung von Chancen und Herausforderungen staatlich finanzierter, frei verfügbarer Bildungsmaterialien am Beispiel der Plattform ndla.no in Norwegen einige Teilantworten, die der Diskussion nützlich sein könnten.

Teil 3

  • These: Die Etablierung von OER benötigt einen globalen bzw. mindestens nationalen, einheitlichen Metadatenstandard, um Interoperabilität und Medienformattransferierung zu gewährleisten. Gleichzeitig wird eine einfach zu bedienende, quelloffene Technologie zur Erstellung, Bearbeitung und Vernetzung von OER benötigt.
  • Frage: Wie kann eine Standardisierung im föderalen Bildungssystem Deutschlands technisch und politisch gelingen?

Ich bin auf dem Feld der Metadaten nicht sonderlich bewandert und glaube nicht, dass ich die Frage beantworten kann. Ich kann lediglich die Gedanken teilen, die mir diesbezüglich durch den Kopf gehen.

Ich kann nicht überblicken, welche Rolle Metadaten für OER spielen. Sie scheinen relevant zu sein, um „OER auszutauschen, zu finden, zu beschaffen und sie auf einer breiten Basis zugänglich zu machen“ (vgl. Ziedord/Derr/Neumann 2013). Eine Unterstützung bei diesen Prozessen ist wünschenswert. Dass beispielsweise Treffer in Suchmaschinen durch Rückgriff auf Metadaten wie Namen von Verfasser:innen oder Fachzuordnungen verbessert werden können, halte ich für unbestritten. Ich bin mir allerdings nicht sicher, wie stark heutige Suchmaschinen tatsächlich davon abhängig sind und ob sie nicht auch ohne besondere Berücksichtigung von Metadaten bereits ausreichend gute Ergebnisse liefern könnten.

Die These, zu der ich Stellung nehme, spricht allerdings ausdrücklich von Metadaten als Notwendigkeit zur „Etablierung“ von OER. Das einzige schlüssige Argument, das mir diesbezüglich in den Sinn kommt, ist die klare Angabe von Urheberrechtsinformationen – um ungewollte Urheberrechtsverletzungen bei der Weiterverwendung von Inhalten vermeiden zu können. Wie bereits länglich ausgeführt, ließe sich diese Furcht und damit ein Hemmnis für die Verwendung von OER auch an der juristischen Wurzel des Urheberrechts packen statt über Technik Symptome bekämpfen zu wollen.

Comic. Panel 1: There are 14 competing standards. Panel 2: 14? Ridiculous! We need to develop one that covers everyone's use cases. Panel 3: There are 15 competing standards.

Comic „Standards“ von „xkcd“ unter der Lizenz CC BY-NC 2.5

Lasse ich diese Bedenken außer acht und folge der These der Notwendigkeit eines Metadatenstandards, hielte ich es für den falschen Weg, einen neuen Standard kreieren zu wollen (vgl. xkcd o. J.). Bei der Auswahl existierender Standards, scheint mir die Expertise von Bibliothekspersonal bedeutsamer zu sein als die von Techniker:innen. Der Zweck sollte im Vordergrund stehen, nicht möglichst einfache technische Umsetzbarkeit.
Wie diese Standardisierung technisch gelingen kann, lässt sich wohl erst sagen, wenn die gewünschten Metadatenstandards bekannt sind.

Quellen

Symptomatische schnellere Pferde?

Vergangene Woche habe ich im Süden der Republik einen Workshop angeboten. Darin ging es unter anderem um H5P ging. An mehreren Stellen habe ich gesagt, dass diverse Dinge „wenig spannend“ seien:

  • H5P Image Hotspots: Erlaubt es, Markierungen auf ein Bild zu setzen. Die Markierungen liefern nach Aufrufen Detailinformationen in Text-, Bild- und/oder Videoform.
  • H5P Essay: Prüft einen von Lernenden geschriebenen Text auf das Vorhandensein von Worten oder Variationen. Kann daraufhin Rückmeldungen geben.
  • H5P Cornell: Bietet Texteingabefelder für Notizen neben Inhalten wie Text, Audio oder Video. Die Notizen werden in der lokalen Datenbank gespeichert. Lernende können sie später wieder abrufen.

Aus Sicht der Lehrenden waren diese Dinge allerdings sehr wohl spannend, und ich wurde am Ende darauf angesprochen. Zum Nachdenken anregend fand ich die Antworten auf meine Erläuterungen zu meiner Einschätzung aus technischer wie didaktischer Sicht.

Aus technischer Sicht ist so etwas wie H5P Essay eher langweilig. Da wird ein Text geparsed. Wow. Ja, es sind einige Kniffe drin. Es gibt etwas wie „Unschärfe“, damit Tippfehler oder unterschiedliche Wortendungen nicht dazu führen, dass ein Begriff nicht erkannt wird. In Summe war die Erstellung dennoch eher Fleißarbeit. Für die TeilnehmerInnen waren die Möglichkeiten allerdings völlig neu und vielleicht ein wenig wie Magie – und daher sehr interessant.

Aus didaktischer Sicht sind die palliativen Maßnahmen wie (oft) Multiple Choice Quizzes auch wenig spannend. In eine ähnliche Kerbe schlägt H5P Essay. Interaktive Inhalte könnten aber beispielsweise auch bedeuten, Interaktion zwischen Lernenden oder zwischen Lehrenden und Lernenden zu ermöglichen. Zukunftsmusik. Meine Hinweise dazu wurden auch nachvollzogen. Eine Workshop-Teilnehmerin sagte daraufhin, dass sie so etwas von H5P aber auch gar nicht erwartet hätte. Sie hätte so etwas noch bei keinem AutorInnen-Werkzeug gesehen.

Fragen an euch

Ist das nur ein Fall von erwarteten schnelleren Pferden, bei dem ein wirklich schnelles Pferd schon wie ein Auto erscheint? Obwohl andere schon an Alternativen zu Autos denken? Ist es ein Symptom für mehr? Mein Nachdenken dazu läuft noch … :-D Was kommt euch in den Sinn? Lasst gerne Kommentare und eigene Gedanken da …

Relationierung von Bildung und Technik — ein „React to“ in Textform

Mein Kollege Markus Deimann hat kürzlich seinen Anfängervortrag ;-) gehalten und ihn auch verschiedentlich konserviert. Neben dem Vortragstext und Schaubildern gibt es sogar eine Aufzeichnung.

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Da Markus sich immer freut, wenn man sich mit seinen Gedanken auseinandersetzt, habe ich das gerade getan. Statt lang und breit zu diskutieren, habe ich schlicht hier im Blog parallel zum Lesen Notizen festgehalten und die Gedanken nachträglich kurz ausformuliert. Das ist eigentlich ganz praktisch. Gibt womöglich Anstöße, geht aber recht fix. Ihr bekommt so einen Einblick, welche Passagen meine Seismographen zum Ausschlagen gebracht haben. Und falls für Markus etwas Brauchbares dabei sein sollte, soll er mich natürlich darauf ansprechen, hier kommentieren, bei sich im Blog diskutieren, …


„Dahinter steckt ein Wille zur Neu- bzw. Umgestaltung von Gesellschaft, bei der bestimmte Bevölkerungsgruppen aufgrund gesunkenen Humankapitals aussortiert und durch smarte Maschinen ersetzt werden sollen.“

Nimmt man diesen Satz für sich, hätte er sicher auf vor 250 Jahren geschrieben worden sein können. Damals begann in England die industrielle Revolution. Seither ist in zahlreichen Bereichen menschliche Arbeitskraft durch Maschinen ersetzt worden, es wünschen sich wohl aber die wenigsten die alten Verhältnisse zurück. Was ist heute anders, dass uns diese Entwicklung beunruhigen sollte?


„Dies zeigt sich deutlich z. B. im Zusammenhang mit dem Programm “Curriculum 4.0”, mit dem auf bewusst diffuse Weise der Silicon Valley Ideologie das Wort geredet wird. Es lässt sich somit auf der sprachlichen Ebene aufzeigen, wie dominant die Position der Technik geworden ist. Dies geht zu Lasten bildungstheoretischer Überlegungen und so wirkt Bildung im Kontext der Digitalisierung an vielen Stellen ausgehöhlt.“

Das ist wahr. Aber muss man dafür die Sprache bemühen? Ist es nicht offensichtlich, dass die Technik unser gesamtes Leben durchdringt? Und auch beim letzten Satz würde ich zustimmen. Woran liegt das? Provokativ in den Raum gestellt: Haben die BildungstheoretikerInnen den Diskurs verschlafen, die Technik zu lange ignoriert und laufen nun hinterher?


„Es ist jedoch ein Fehlschluss anzunehmen, man könne über Bildung sprechen und gleichzeitig den ganzen lästigen philosophischen Ballast über Bord werfen.“

Da stimme ich Markus zu. Zum einen bin ich mir aber nicht sicher, ob wirklich über Bildung gesprochen wird, sondern eigentlich Ausbildung oder etwas, das in die Richtung geht. Zum anderen ging mir das Beispiel der heute nicht wegzudenkenden Smartphones durch den Kopf, bei dem auch einfach radikal Ballast über Bord geworfen wurde. Ja, auch ich bin nicht frei von der Kalifornischen Ideologie. Ich bin aber auch nicht sicher, ob der letztgenannte Gedankengang eine Sackgasse sein könnte. Vergleiche sind immer so eine Sache …


„Bildung bietet uns Denkwerkzeuge, um damit über mittlerweile in Vergessenheit geratenen Zusammenhänge nachzudenken. So etwa die Tatsache, dass Technik ein Produkt des Menschen ist. Wenn man sich aber die Berichterstattung zur Zukunft der Arbeit anschaut, bei der mit erstaunlicher Suggestion eine Hilflosigkeit angesichts drohender Jobverluste durch Automatisierung und Robotisierung konstruiert wird, so scheint das in Vergessenheit geraten zu sein.“

Für wie wahrscheinlich haltet ihr es, dass eine Regierung dieser Welt die Automatisierung und Robotisierung verbietet oder Steuern darauf erhebt und diese als Sozialausgleich nutzt? Nicht ausgeschlossen, aber momentan eher unwahrscheinlich? Dann stehen diese Jobverluste schlicht vor der Tür — auch in „gehobenen Berufen“. Da verweise ich einfach auf Gunter Dueck, etwa hier:

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Ganz pragmatisch begebe ich mich daher auch ab und zu ins Hamsterrad und qualifiziere mich um/weiter/neu. Zum Glück ist das nicht schlimm, da ich auf so Vieles neugierig bin :-)


„Ein anderes Beispiel betrifft die Glorifizierung des Silicon Valley als Ort bzw. im Jargon der High-Tech-Gemeinde, Hotspot für disruptive Innovationen aller Art. Für mich ist es irritierend, wie devot sich Vertreter/innen aus der Wirtschaft und zum Teil aus dem Bildungsbereich verhalten – es gibt mittlerweile schon Pilgerreisen ins kalifornische Mekka – und die Start-ups und Tech-Giganten werden als Heilsbringer einer kommenden Bildungsrevolution gefeiert. Haben wir angesichts von Design Thinking und Agilem Projektmanagement verlernt, die Dinge kritisch zu beurteilen?“

Gab es Pilgerreisen nicht auch vor einer Weile nach Finnland in die dortigen Schulen? Ich denke daher, der von Markus kritisierte Punkt ist kein Technik-Phänomen. Sich anderswo vor Ort ungewohnte Ansätze und Denkweisen anzuschauen, ist sicher eine gute Idee! Wie war das mit Goethes Italienreise? Problematisch wird es doch erst dann, wenn die Ansätze und Arbeitsweisen unreflektiert übernommen werden und nicht zu den lokalen Gegebenheiten passen. Stichwort: Cargo-Kult.


„Folgt man dem vielbeschworenen Narrativ der disruptiven Innovation, so scheint der Hochschule ein ähnliches Schicksal wie dem Taxigewerbe mit Uber oder der Musikindustrie mit iTunes zu drohen.“

Hier stört mich vor allem, dass der von Clayton Christensen geprägte Begriff Disruptive Innovation ständig falsch verwendet wird — eventuell auch hier. Christensen meinte damit nicht bloß groß oder umwälzend, sondern einen ganz bestimmten Wirkmechanismus. Den könnte man im Zuge des Einsatzes von digitalen Medien durchaus postulieren, er hat mit dem Ansatz von Uber oder iTunes allerdings gar nichts zu tun. Und dann gibt es da ja auch noch die nicht unerhebliche Kritik an der Theorie selbst …


„Mit Hilfe der künstlichen Intelligenz machen sich Learning Analytics auf, den Hochschullehrerinnen die Arbeit abzunehmen.“

Da verweise ich erneut auf Gunter Dueck: Die einfachen Teile von Arbeit werden abgenommen, die schwierigen Teile bleiben übrig.


„Lesen ist zwar immer noch linear, aber kein haptisches Erlebnis mehr, denn die Bücher kann man nicht mehr anfassen, sondern sie liegen digital in der Cloud und werden über einen E-Book Reader angezeigt.“

Solange ich E-Books immer noch auf meinem Smartphone lese und das Bild nicht in den Raum oder auf meine Netzhaut projiziert wird, solange ich nicht per Gedankenübertragung „weiterblättere“, ist das für mich immer noch ein haptisches Erlebnis.


„Durch Verknüpfung von Daten lassen sich neue Schlüsse ziehen, allerdings nur von denen, die auch Zugang zu den Daten haben.“

Da liegen wir wohl sehr eng beisammen. Ich bin dafür, (auch) den Lernenden die Daten zur Verfügung zu stellen.


„Konsequent weitergedacht führt dies zum Ende von Autonomie und Selbstbestimmung oder verraten uns vielleicht die Maschinen Dinge, die wir selbst nicht wissen?“

Zum einen: Weiter oben hat Markus selbst geschrieben, dass sich durch Verknüpfung von Daten neue Schlüsse ziehen lassen. Wenn ich Zugang dazu habe, können mir also auch Maschinen Dinge verraten, die ich nicht weiß.

Zum anderen: Schauen wir uns beispielsweise AlphaGo an. Die Software hat im Brettspiel Go zahlreiche Züge unternommen, die nie ein Mensch gespielt hätte — und dennoch oder gerade deswegen gewonnen. Menschen können also offenbar Neues von den Maschinen lernen.

Außerdem sehe ich nicht, wie das zum Ende von Autonomie und Selbstbestimmung führt, wenn ich mich jederzeit dazu entschließen kann, die „Ratschläge der Algorithmen“ zu ignorieren. Hatte ich ja auch gerade mal wieder etwas zu geschrieben.


„Kann ich nicht erst durch die Selbst-Quantifizierung zu wahren Einsichten über mich selbst kommen?“

Ich bin mir nicht sicher, was Markus mit Selbst-Quantifizierung meint. Aber einerseits haben wir bei den beiden vorherigen Punkten gesehen, dass die Antwort hier nein sein müsste. Und bemühen wir andererseits etwa das olle Johari-Fenster, dann kann ich von anderen durchaus auf blinde Flecken hingewiesen werden, von denen ich nichts weiß. Ob die anderen dabei Menschen oder Maschinen sind, wäre für mich unerheblich.


„Dieses Moment des aktiven Gestalten ist in vielen zeitgenössischen Erzählungen zur Digitalisierung unterrepräsentiert. Stattdessen wird von einer Logik der Transformation ausgegangen, mit der die Urheber und Profiteure geschickt verschleiert werden.“

Da ist etwas dran. Aber findet sich das nicht auch außerhalb der Bildungswelt? Beispielsweise dann, wenn man die Schule auf „das System“ schiebt und vergisst, dass „das System“ von Menschen geschaffen wurde und nicht unveränderlich ist?


„Es ist ein iteratives Wechselspiel zwischen den Affordanzen digitaler Medien, den sozio-strukturellen Infrastrukturen und den individuellen Bildungspotentialen. Das alles ist zudem eingebettet in einen Raum von Macht- und Herrschaftsstrukturen. Mit dem Homo Digitalis wird auf die tektonischen Verschiebungen im Bereich der Digital-Politik reagiert und zeigen ein medienpädagogisches Desiderat an. In den bisherigen Konzeptualisierungen zur Medienkompetenz spielen die äußeren Schalen keine Rolle, es konzentriert sich auf den pädagogischen Kern in abgeschotteten Settings wie dem Klassenzimmer, dem Seminarraum oder dem Learning Management System. Diese Loslösung von den rahmenden sozio-politischen Bedingungen ist problematisch.“

Was möchte mir der Autor damit sagen?


„Hinzu kommen neue Dimensionen, die im Zusammenhang mit der Öffnung von Bildung und Technik entstehen. Spätestens seit den Enthüllungen von Edward Snowden ist die nahezu vollständige Überwachung des weltweiten Internetverkehrs publik geworden.“

Ich hoffe, man versteht, wie ich das hier meine:

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“Wem gehören die Daten, die in einem LMS anfallen?”

Siehe oben. Schien mir hier aber nochmals relevant zu sein.