Um eine Professur an einer deutschen Universität zu erhalten, muss man ein Berufungsverfahren durchlaufen, darin unter anderem einen Vortrag halten und dazu die Fragen einer Kommission beantworten. Das nennt man scherzhaft „Vorsingen“. In eine solch illustre Veranstaltung bin ich heute zufällig hineingestolpert und habe mir als Gast die vier Kandidaten angesehen, die eingeladen worden waren.
Leider wie erwartet: Im Mittelpunkt stand die Forschung, hintenan die Lehre – von einer gleichberechtigten Stellung oder gar einer Symbiose konnte nicht die Rede sein. Dass von der Berufungskommission explizit zwei diesbezüglich getrennte Teilvorträge gefordert wurden, wirft schon die Frage auf, welche Bedeutung für sie die vielbeschworene Einheit von Forschung und Lehre überhaupt hat.
Als meine Beobachtung muss ich jedenfalls festhalten, dass ein deutliches Ungleichgewicht vorliegt. Rein quantitativ lässt sich das schon an den Zeitanteilen ablesen: Rund 75% gingen auf das Konto der Forschung. Qualitativ sah es aber wenig anders aus. Wo man zuvor noch im Detail ausgeklügelte Forschungsmethoden und -ergebnisse vorgestellt hatte (übrigens handwerklich von interessant, enthusiastisch und anschaulich vorgetragen bis zu Mit-dem-Laptop-sprechen und Mit-Text-und-Tabellen-überladene-Schaubilder-vorlesen alles dabei), beschränkte man sich nun mehrheitlich auf denkbare Inhalte einzelner Veranstaltungen. Welche Lernziele verfolgt werden, wie die Themen mit welchen Methoden entsprechend vermittelt werden sollen, welches Lehrverständnis vertreten wird – dazu gab es dann überwiegend einfach in den Raum gestellte Worthülsen aufgetischt und Aufzählungen der Form „Vorlesungen, Übungen, Seminare, Planspiele und Exkursionen“ serviert. Und das war dann mit Didaktik betitelt. Sonderlich gestört hat sich die Kommission allerdings nicht daran; ihre Fragen beschränkten sich auf den Inhalt von Vorlesungen. Insofern wurde offenbar genau das geliefert, was gefordert wurde. Ob das jedoch für den Bildungsbereich auch wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt. Ergänzen sollte ich, dass bei zwei der vier Kandidaten durchaus ein Engagement für die Lehre vorhanden zu sein schien, es aber deutlich weniger Raum einnahm als die Forschung.
Mein Fazit anhand dieses Einzelerlebnisses: Der Stellenwert guter Lehre bei der Besetzung von Professuren ist sehr gering. Hat jemand identische oder andere Erfahrungen in Berufungskomissionen gemacht?