Ein Beitrag in DIE ZEIT (46/2013, S. 77) hat meine Aufmerksamkeit geweckt. Unter der Überschrift „Kauf mein Buch!“ wird beklagt, dass ProfessorInnen Lehrbücher schrieben und diese dann in ihren Veranstaltungen anpriesen – um Geld zu verdienen. Es wird aber ebenfalls berichtet, dass sich dieses Vorgehen nur in Ausnahmefällen lohne. In einem der Kommentare wird dazu aus meiner Sicht passend bemerkt, gerade dann dränge sich Open Access auf.
Das wäre dieselbe Debatte, wie sie auch bei Open Access für Forschungspublikationen geführt wird. Die möchte ich gar nicht aufkochen. Spannend finde ich jedoch einen Nebenaspekt in dem Artikel:
An der […] Fakultät […] hätten sich dieses Semester 1.100 Studenten eingeschrieben. »Das sind zu viele für einen Hörsaal«, sagt Mosler. Die Studenten müssten auf dem Boden und den Stufen sitzen oder gleich vor der Tür bleiben. »Das Buch gibt ihnen die Möglichkeit, zu Hause zu lernen.« Ein Besuch der Vorlesung werde damit überflüssig.
Abgesehen davon, dass ich Riesenveranstaltungen sowieso nicht viel abgewinnen kann: Was sagt dieses Zitat mit Blick auf den letzten Satz eigentlich aus? Stellt sich der Professor mit seiner Aussage nicht selbst ein Armutszeugnis aus? Wenn es tatsächlich genügt, das Buch im Selbststudium durchzuarbeiten ohne Begleitung in irgendeiner Form, ist dann die Lehre (vermutlich der Vortrag) des Professors nicht ebenfalls überflüssig? Hat dann er wirklich nicht mehr zu bieten? Ich denke wieder einmal an die Thesen von Gunter Dueck zur Professionellen Intelligenz…
Zusammen mit Christian Spannagel arbeite ich gerade an einem Beitrag zum Thema öffentliche Wissenschaft (mit Schwerpunkt Forschung) und habe mir dazu heute Gedanken gemacht. Den Salat, der dabei herausgekommen ist, stelle ich einfach kurz vor. Muss gar nichts weltbewegend Neues dabei sein. Wer dazu Anmerkungen hat, wer vielleicht gar jemanden kennt, der sich dazu schon Gedanken gemacht und die veröffentlicht hat – immer her damit!
1. Gedankengang: Der Grad der Exklusivität wissenschaftlicher Erkenntnis verringert sich beständig
Sieht man sich die Geschichte der Wissenschaftswelt an, stellt man fest, dass sich der Zugang zu ihren Erkenntnissen weiter und weiter verbreitert hat. Schrieben sich Gelehrte vor Hunderten von Jahren noch untereinander Briefe und behielten Entdeckungen auch schon einmal für sich, werden die Ergebnisse von Forschung heute in Zeitschriften und Büchern veröffentlicht. Deutlich mehr Menschen haben dadurch Zugriff auf das darin konservierte Wissen. Einen weiteren Schub zu einer noch größeren Öffnung bieten Initiativen wie Open Access.
Für den nächsten Schritt brauchen wir einen Klassiker aus den Wirtschaftswissenschaften, die Klassifizierung von Gütern nach Ausschließbarkeit und Rivalität:
Ausschließbarkeit: Ich kann wirksam und verhältnismäßig verhindern, dass jemand ein Gut nutzen kann oder nicht. Ein Buch kann ich beispielsweise in einen Tresor einschließen, und jemand müsste schon viel Mühe aufbringen, wenn er es lesen wollte. Bei Atemluft wird das schon deutlich schwieriger.
Rivalität im Konsum: Was der eine hat, kann der andere nicht haben. Wenn ich ein Stück Kuchen esse, kann das nicht gleichzeitig ein anderer futtern. Wenn ich aber Radio höre, sind die Funkwellen für meinen Nachbarn nicht plötzlich weg.
Güter nach Ausschließbarkeit und Rivalität
Die Trennlinien können – wie so oft – nicht scharf gezogen werden, aber es lässt sich daraus eine zweidimensionale Matrix erstellen, bei der die beiden Dimensionen Ausschließbarkeit und Rivalität im Konsum auf den Achsen aufgetragen werden und man dann vier Felder erhält, die verschiedene Güterarten bezeichnen. Besteht bei etwas keine Rivalität im Konsum, aber ich kann andere von der Nutzung ausschließen, nennt man das zum Beispiel ein Klub-Gut. Es könnten etwa beliebig viele Mitglied in einem Buchklub werden, ohne sich gegenseitig zu stören, aber es könnte beschränkt werden, wer Mitglied sein darf.
Zurück zur Wissenschaft. Denken wir uns die wissenschaftliche Erkenntnis als ein Gut vor, dann würde ich bei dieser keine Probleme mit der Rivalität sehen (oder irre ich mich?). Wenn jemand etwas lernt, verlernt dadurch ein anderer nichts. Wissenschaftliche Erkenntnis war aber früher ziemlich exklusiv, der Zugang zu ihr wurde stark reglementiert (etwa durch die Kirche) oder freiwillig begrenzt (Geheimhaltung). Es lag ein Klub-Gut vor. Durch die Aufklärung und die Errichtung des Publikationswesens und von Bibliotheken sanken jedoch die Zugriffshürden bereits beträchtlich. Open Access und Co. verstärken diese Marschrichtung. Jemanden von wissenschaftlichen Ergebnissen auszuschließen, scheint immer schwieriger zu werden. Können wir von wissenschaftlicher Erkenntnis (bald) als öffentliches Gut sprechen?
2. Gedankengang: the final frontier?
Bei dem bisher geschriebenen konnte man wissenschaftliche Erkenntnis als Produkt interpretieren – als Artikel in einer Zeitschrift, als Buch, vielleicht auch als Vortrag auf einer Konferenz. Eine gewisse Form der Ausschließbarkeit findet sich dann immer noch in der Art der Darstellung, in der Sprache. Wenn jemand ein solches Produkt erstellt, tut er dies für eine bestimmte Zielgruppe. Oft unterscheidet man in Wissenschaftler (des eigenen Fachs) und Nicht-Wissenschaftler und macht das an der Zugehörigkeit zu einer Forschungseinrichtung fest. Diese Einteilung übernehme ich an dieser Stelle der Einfachheit halber. Wir finden dann im Internet auf Seiten der Wissenschaft etwa arXiv.org, wo zahlreiche wissenschaftliche Artikel für jedermann kostenlos zugänglich sind (Open Access). Für Nicht-Wissenschaftler gibt es beispielsweise Aufzeichnungen von Quarks&Co. Verhindern kann man natürlich nicht, dass Wissenschaftler sich Quarks&Co anschauen oder Nicht-Wissenschaftler sich wissenschaftliche Artikel durchlesen, aber es wird vorab von einer bestimmten Zielgruppe ausgegangen.
Produkte und Prozesse in der Wissenschaft
Wissenschaft lässt sich aber auch als ein Prozess betrachten, der bestimmte wiederkehrende Bausteine umfasst – etwa Themenfindung, Entwurf eines Forschungsdesigns oder der Auswertung von erhobenen Daten. Da hat aber in der Regel niemand einen Einblick, das ist ziemlich exklusiv. Christian Spannagel und ich sind der Ansicht, dass auch hier eine Öffnung Vorteile für viele Beteiligte bringen könnte; sowohl für denjenigen, der seine Arbeitsabläufe für andere erlebbar macht, als auch für diejenigen, denen diese Chance gewährt wird. Das geht etwa über die kontinuierliche Arbeit in frei zugänglichen Wikis, Reflexionen in Blogs, usw. Das führe ich hier nicht aus. Ich habe aber auch hier eine Matrix gebastelt, bei der ich auf der einen Achse die Trennung in Wissenschaftler und Nicht-Wissenschaftler aufgetragen habe, bei der anderen in Produkte und Prozesse.
Schwierigkeiten bereitet mir die obere Zeile mit den Prozessen. Während es mir bei Produkten irgendwie einleuchtet, dass diese für eine bestimmte Zielgruppe gestaltet werden, stört mich diese Unterscheidung bei Prozessen. Den Balken habe ich daher grau statt schwarz gezeichnet. Ich habe den Eindruck, bei Prozessen entscheiden vielmehr die Konsumenten bzw. Teilhabenden, ob diese für sie gemacht sind oder nicht. Eine Abgrenzung zwischen so etwas wie Prozessen für Wissenschaftler und Prozessen für Nicht-Wissenschaftler finde ich schwieriger, kann es aber noch nicht besser in Worte fassen. Falls mir dazu jemand einen geeigneten Gedankenanstoß liefern kann – egal ob die Grafik dann hinfällig ist oder nicht…
3. Gedankengang: Transparenz ist nicht Partizipation
Das ist nur ein ganz kleiner Gedankengang zum Thema Prozesse der Wissenschaft. Schön wäre es schon, wenn die Prozesse transparent würden und man Wissenschaftlern quasi beim Arbeiten zuschauen könnte und man mitbekäme, wie das wirklich alles funktioniert. Es wäre ja schon eine gewisse Neuheit, wenn man auch die ganzen Fehlschläge mitbekommen würde. Schöner wäre es aber, wenn auch diese Nicht-Wissenschaftler sogar etwas zur wissenschaftlichen Erkenntnis beitragen könnten. Das geht! Ich glaube aber auch nicht, dass alles geht. Diese Unterscheidung zwischen Transparenz und Partizipation scheint mir noch wichtig zu sein. Eine dritte Grafik habe ich aber dazu nicht gezeichnet :-)
Am Mittwoch vor der Openmind-Konferenz erreicht mich abends eine E-Mail: Die Website telepolis habe angeboten, eine Auswahl der Vorträge in schriftlicher Form zu veröffentlichen. Man brauche die Beiträge aber am besten schon bis Freitag. Was habe ich getan? Nachtschicht. Müde, aber rechtzeitig fertig. Was passiert? Es genügt dann doch eine Abgabe bis Dienstag nach der Konferenz. Was passiert anschließend? Heute erscheint eine Auswahl der Beiträge, telepolis hat meinen aber leider verschmäht. Was heißt das? Ich habe wieder Inhalt für mein Blog und betreibe so etwas wie Restmüll-Marketing ;-)
UPDATE: Der Artikel hat es nun doch noch auf telepolis geschafft. UPDATE: Der Artikel ist inzwischen nicht mehr auf telepolis verfügbar.
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„Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus. Ich bin gerne bereit zu prüfen, ob bei über 1.200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten und würde dies bei einer Neuauflage berücksichtigen.“ [1]
So antwortete der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg auf die Frage, ob Teile seiner Dissertation womöglich aus anderen Werken abgeschrieben worden sein könnten, ohne dass er dies ausreichend kenntlich gemacht hatte. Schnell wurde von vielen Kritikern sein Rücktritt gefordert, ebenso viele Menschen konnten aber den Wirbel um die Affäre nicht verstehen: Herr zu Guttenberg hatte ein wenig gemogelt, aber macht das nicht jeder mal? Offenbar war vielen die Bedeutung dieses Vergehens gar nicht bewusst. Ich meine, das liegt daran, dass der Wissenschaftsbetrieb für viele schlicht ein Buch mit sieben Siegeln ist, das sie nicht öffnen können.
Und tatsächlich, das Bild von der einsamen Forschung im Elfenbeinturm scheint nicht von ungefähr zu kommen. Einerseits hat die zunehmende Spezialisierung der wissenschaftlichen Disziplinen zwar dazu geführt, dass Einzelgänger es schwer haben und Ergebnisse immer häufiger nur durch Kooperation mit anderen erzielt werden können [2]. Denken Sie etwa an die großen Projekte am Kernforschungszentrum CERN. Andererseits bleiben die unzähligen Publikationen für die meisten unverständlich, bisweilen sogar für Fachkollegen, weil jenseits von notwendigen Fachbegriffen ein möglichst staubtrockener Sprachstil und möglichst kompliziert formulierte Sätze gepflegt werden. Sie taugen vielleicht zum Imponieren oder verheißen vermeintlich Qualität, erschweren aber unnötig das Verständnis. Das wusste schon Goethe: „Die Deutschen, und sie nicht allein, besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzugänglich zu machen.“ [3] Auch Initiativen zur Förderung von Open Access dürften daran wenig ändern. Forschungsergebnisse werden durch sie zwar öffentlich zugänglich, aber nicht offen.
Popularisierung der Wissenschaft
Um den klaffenden Graben zwischen der Wissenschaftswelt und der Allgemeinheit zu verkleinern, wurde bereits im 19. Jahrhundert versucht, Spezialwissen einem größeren Publikum zugänglich zu machen: Schon damals wurden Anleitungsbücher für Hobbyforscher verfasst oder im Wissenschaftlichen Theater Lehrstücke inszeniert [4]. Was einst als Mittel der Bildung der Massen gedacht war, ruft heute jedoch eher ein Naserümpfen hervor. Populärwissenschaftliche Literatur genießt bei vielen Wissenschaftlern den Ruf des Zweitklassigen, des weniger Korrekten. Der Physiker Martin Bojowald sah sich offenbar aus diesem Grund dazu gezwungen, sich im Vorwort seines Buches „Zurück vor den Urknall“ dafür zu rechtfertigen, dass er nicht bloß für Fachkollegen geschrieben hatte [5]. Auch normale Menschen sollten das Universum und seine Theorien verstehen.
Aber hätte er das nicht Wissenschaftsjournalisten überlassen sollen, die speziell dafür ausgebildet worden sind? Sie sind schließlich geübt darin, aus den Erkenntnissen verschiedener Forscher eine stimmige Geschichte zusammenstellen und sie gleichzeitig informativ und unterhaltsam aufbereiten. Es gibt dafür heute ganz unterschiedliche Formate: Zeitschriften wie Spektrum der Wissenschaft, Fernsehsendungen wie Quarks und Co., Science Centers wie das Mathematikum in Gießen, Kinderuniversitäten und vieles mehr. Das ist schon so etwas, was man Öffentliche Wissenschaft (oder Open Science) nennen könnte. Auf diesem Wege kann nämlich schon das Verständnis für das dargebotene Wissen vergrößert werden, aber leider noch nicht für die Wissenschaft selbst oder gar die Menschen dahinter.
Verstehen Sie, was ich damit meine? Es werden zwar die Forschungsergebnisse mundgerecht präsentiert, aber die Prozesse, die zu diesen Ergebnissen führen, bleiben im Dunkeln. Außenstehende bekommen ein Produkt geliefert, können aber nicht nachvollziehen, wie es entstanden ist und welche Gedanken bei der Erstellung verfolgt und verworfen wurden. Sie sehen vor allem nicht, welche Probleme es auf dem Weg zu lösen gab, welche Fehler gemacht und welche Lehren aus ihnen gezogen wurden. Auch solche Dinge gehören zur Wissenschaft. Wenn man die weglässt, entsteht ein völlig falsches Bild. Und dann wundert man sich, wieso die Menschen nicht verstehen, was Herr zu Guttenberg so Schlimmes getan hat.
Von 1.0 zu 2.0
Nun gibt uns aber speziell das Internet die Möglichkeit an die Hand, dagegen etwas zu tun. Wir bekommen nämlich einen Rückkanal, und der ändert eine ganze Menge. Im einfachsten Fall können Wissenschaftler etwa in Blogs über Themen aus ihrem Fachgebiet berichten und Fragen von Interessierten dazu beantworten. Es wird ein zügiger direkter Austausch möglich, doch damit ist das Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Da ist noch Luft.
In der Wikipedia können wir nicht nur Texte lesen, sondern auch selbst mitschreiben. Auf YouTube können wir nicht nur Filme anschauen, sondern auch eigene einstellen und kommentieren. Die Unterscheidung zwischen Produzenten und Konsumenten von Inhalten weicht auf. Doch bevor wir die Bedeutung für die Wissenschaft weiter beleuchten, betrachten wir zunächst einige Beispiele.
Der Heidelberger Professor Christian Spannagel hielt – damals noch in Ludwigsburg – im Wintersemester 2008/2009 ein Seminar ab, das sich um die Didaktik der Informatik drehte [6]. Die Studierenden diskutierten in einem öffentlichen Wiki eine spezielle Theorie, Spannagel berichtete darüber in seinem Blog und per Twitter. Daraufhin stießen mehrere Externe hinzu und beteiligten sich an der Diskussion. Darunter befand sich auch der Entwickler eines speziellen Lehrkonzepts, das man kurzerhand vor Ort in einer seiner Schulklassen begutachtete. Ein Referendar wurde auf den Kurs aufmerksam, erprobte das Konzept und berichtete davon den Studierenden, die darauf aufbauen konnten und selbst Unterrichtseinheiten entwickelten. Ob das in dieser Form wohl ohne eine Öffnung des Seminars möglich gewesen wäre?
Auf wissenschaftlichen Konferenzen ist es möglich, das aktuelle Geschehen per Video-Stream ins Internet zu stellen und gleichzeitig per Twitter die Gedanken der Teilnehmer dazu zu lesen. Mehr als die Festlegung eines eindeutigen Hashtag braucht man dafür nicht. Und natürlich können auch Zuschauer rund um den Globus Kommentare beisteuern oder Fragen an den Vortragenden richten, die dieser wiederum auf einer Twitterwall sehen und bei Gelegenheit beantworten kann. Das nenne ich mal „mittendrin statt nur dabei“.
Und auch die ganz normale Forschung kann öffentlich gestaltet werden. Meine ersten Ideen halte ich oft in einem Wiki fest und bitte per Twitter oder Blogbeitrag um Anregungen dazu. Sie möchten ein Beispiel? Schauen Sie doch einmal unter http://de.wikiversity.org/wiki/Benutzer:O.tacke/Zeitschrift_fuer_E-Learning-2011 nach. Da kamen viele gute Anregungen zusammen, auch wenn der Beitrag nachher abgelehnt wurde. Gerade diese Rückmeldungen können zeigen, wo noch Schwierigkeiten bestehen oder Dinge offen geblieben sind. Auch der Meeresforscher Stefan Rahmstorf berichtet davon, durch Fragen der Leser seines Blogs schon auf neue Anregungen gekommen zu sein [7]. Sie können sich das allerdings über den ganzen Forschungsprozess denken. Das muss nicht bei der Ideensammlung stehenbleiben, Sie können auch den ganzen Beitrag online mit anderen verfassen und Interessierte können zwischendurch etwas beisteuern – auch dazu werden Sie ganz aktuell etwas bei mir finden. Wenn ich schließlich fertig bin, könnte ich auch öffentlich darum bitten, den Text zu begutachten, bevor ich ihn bei einer Zeitschrift einreiche. All das funktioniert tatsächlich.
Und alle diese Beispiele würde ich mit Open Science 2.0 betiteln. Es geht nicht um das Präsentieren von fertigen Inhalten, sondern um das Erstellen, Prüfen, Verbessern dieser Inhalte durch Forscher, Praktiker und begeisterte Amateure. Wer an der Entwicklung von Wissen mitwirkt, versteht viel besser, was Wissenschaft eigentlich ausmacht und bedeutet. Andersherum bleiben Forscher vielleicht eher auf dem Boden der Tatsachen und erhalten so den Blick für das Ganze zurück, der bei ihrer Spezialisierung verloren gegangen sein könnte. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt ist jedenfalls der Ansicht, Wissenschaft sei „eine zur sozialen Verantwortung verpflichtete Erkenntnissuche“ und müsse sich um die großen Menschheitsprobleme wie Überbevölkerung, Klimawandel, Globalisierung der Ökonomie oder die weltweite militärische Hochrüstung kümmern [8]. Dabei ist die Kooperation Vieler gefragt, unabhängiger Experten ebenso wie betroffener Amateure.
Am Ziel? Jetzt wird es doch erst spannend!
Das klingt alles toll, oder? Aber vielleicht haben Sie sich oben an so mancher Stelle schon am Kopf gekratzt und gefragt, wie das denn alles gehen soll. Experten sollen mit Laien zusammen etwas entwickeln, ist das denn möglich? Die Frage stellen sich einige Unternehmen auch, wenn sie versuchen, Produkte und Dienstleistungen zusammen mit Lieferanten oder Kunden zu entwickeln. Betriebswirte nennen das Open Innovation, und da gibt es viele Ähnlichkeiten zur Open Science, die ich in einem anderen Artikel schon beschrieben habe [9].
Aber zurück zur Frage: Geht das denn? Es gibt manche, die auf die Theorie der sogenannten operational geschlossenen Systeme von Niklas Luhmann zurückgreifen und daraus folgern, da könne nichts Brauchbares für die Wissenschaft bei herauskommen – Wissenschaftler würden Praktiker nicht verstehen und andersherum [10]. Andere halten dagegen [11]. Das ist auch gar nicht so einfach zu beantworten, das ist alles ziemlich neu, und tatsächlich gibt es noch viele offene Fragen!
Ich bin jemand, der gerne gleich ausprobiert und manche Sachen klappen bisher gar nicht, andere schon ganz gut. Ich möchte mehr öffentliche Wissenschaft. Ich verstehe aber auch Einwände, die sich wie „Das geht nicht, weil!“ anhören. Die müssen gar nicht bedeuten, dass die Idee grundsätzlich abgelehnt wird, aber dass möglicherweise einige Vorschläge noch nicht wirklich ausgereift sind. Kategorische Nein-Sager wird es allerdings auch immer geben. Also werde ich mich hier auch nicht hinstellen und verkünden, genau so oder so müsste das gemacht werden. Ich habe nicht alle Antworten – nur ein paar. Daher stelle ich einfach einige Fragen zusammen, die mir diskussionswürdig erscheinen und lade Sie dazu ein, die Liste zu ergänzen und miteinander darüber zu diskutieren.
Fragen zur Diskussion
Gefährde ich als seriöser Wissenschaftler nicht meinen guten Ruf und meine Karriere, wenn ich öffentliche Wissenschaft betreibe?
Kann sich dann nicht jeder an meinen Ideen bedienen und mir damit etwas wegnehmen?
Wie bringe ich vielleicht fremde Leute dazu, zusammen mit mir oder Studierenden an einem Thema zu arbeiten? Will da überhaupt jemand mitmachen?
Frisst das nicht viel Zeit, die man besser anders nutzen sollte?
Wird der Wissenschaftsjournalismus überflüssig?
Welche technischen Instrumente eignen sich am besten für welche Phase der Forschung?
Welches Vorgehen eignet sich am besten für welche Phase der Forschung?
Was passiert, wenn Unternehmen an der Forschung beteiligt sind und Betriebsinterna berührt werden?
Können auch Unternehmen davon profitieren, indem Kooperation nicht nur mit Universitäten stattfinden, sondern zusätzlich mit anderen Interessierten?
Soll jetzt jeder dazu gedrängt werden, öffentliche Wissenschaft zu betreiben?
Welche Voraussetzungen müssen Wissenschaftler und andere Beteiligte dafür überhaupt mitbringen?
[2] Vgl. Gläser, Jochen; Lange, Stefan (2007): Wissenschaft, in: Arthur Benz et al. (Hrsg.): Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, Wiesbaden, S. 437-451, hierzu speziell S. 447.
[3] Goethe, Johann Wolfgang von (1830): Goethe’s Werke: Vollständige Ausgabe letzter Hand. 22. Band: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die entsagenden, 2. Buch, Stuttgart, Tübingen, S. 249.
[4] Vgl. Daum, Andreas W. (2006): Popularisierung von Wissenschaft im 19. Jahrhundert, in: Faulstich, Peter (Hrsg.): Öffentliche Wissenschaft, Bielefeld, S. 33-50.
[5] Vgl. Bojowald, Martin (2009): Zurück vor den Urknall, Frankfurt am Main, S. 9.
[6] Vgl. Spannagel, Christian; Schimpf, Florian (2009): Öffentliche Seminare im Web 2.0, in: Apostolopoulos, Nicolas et al. (Hrsg.): Lernen im Digitalen Zeitalter, Berlin, S. 13-20., hierzu speziell S. 17-18.
[9] Vgl. Tacke, Oliver (2010): Open Science 2.0: How Research and Education can benefit from Open Innovation and Web 2.0, in: Bastiaens, Theo J.; Baumöl, Ulrike; Krämer, Bernd J. (Hrsg.): On Collective Intelligence, Berlin, Heidelberg, S. 37-48.
[10] Vgl. zum Beispiel Kieser, Alfred; Leiner, Lars (2010): Kollaborative Managementforschung – Eine Brücke über den Rigor-Relevance Gap?, in: ZfB – Zeitschrift für Betriebswirtschaft (Sonderausgabe Mixed Methods in der Managementforschung), 80. Jg., Nr. 5, S. 89-113.
[11] Vgl. exemplarisch Hodgkinson, Gerard P.; Rousseau, Denise M. (2009): Bridging the Rigour-Relevance Gap in Management Research: It’s Already Happening!, in: Journal of Management Studies, 46. Jg, Nr. 3, S. 534-546.