Neben meinem Job an der Uni habe ich in den vergangenen zwei Jahren diverse Kurse zur Weiterbildung in der Hochschullehre (WindH) besucht. Seit heute halte ich nun das zugehörige Zertifikat in Händen. Aber was sagt das wirklich aus?
Ich habe 200 Stunden zu verschiedenen Themen absolviert; einige verpflichtend, andere frei wählbar. Darunter waren Veranstaltungen wie Lehre planen oder E-Learning, aber auch Coaching und Hospitationen durch Kursleiter und Kollegen.
Wenn wir nun einfach das Bologna-System zum Vergleich nehmen, sind das nicht einmal sieben Leistungspunkte. Wir können vielleicht die Zeit dazurechnen, in der ich das Gelernte zum Beispiel hier im Blog reflektiert habe. Oder die Tage, an denen versucht habe, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Wie viele Stunden mögen das dann gewesen sein? Nehmen wir einfach (wohl eher großzügig) an, ich hätte insgesamt 900 investiert, das entspräche 30 Leistungspunkten oder gerade einmal einem Studiensemester.
Das Zertifikat bezeugt eine Wertschätzung meines Einsatzes, klar. Das weiß ich zu schätzen. Ich glaube, ich habe auch ganz schön was gelernt. Das Papier drückt jedoch allenfalls aus, dass ich verstärktes Interesse am Feld der Hochschuldidaktik habe, aber das war es doch auch schon. Vielleicht habe ich jetzt Grundkenntnisse, für mehr allerdings noch einen ganz schön weiten Weg vor mir. Und da ich recht wahrscheinlich im kommenden Jahr dem Universitätszirkus den Rücken zuwenden werde, wird’s wohl kaum noch vorangehen. Wenigstens lag ich dem Steuerzahler nicht auf der Tasche, denn das lief auf eigene Rechnung und an Urlaubstagen, die ich dafür genommen habe – „aus Gründen“.
Dass ich kein großer Freund der monokulturartigen, klassischen Vorlesung an Universitäten bin, dürfte aufmerksamen Lesern dieses Blogs nicht entgangen sein. Da werden Studierende in einen Raum zusammengebracht, wo sie von- und miteinander lernen könnten, müssen dann aber still sein und in den Kinomodus schalten. Vorne spielt die Musik. In einem festen Tempo, in einem festen Rhytmus, zu einer festen Zeit. Wer dann nicht da ist, geht leer aus. Wer es gerne langsamer oder schneller, häppchenweise oder wiederholt hätte, hat Pech gehabt.
Wieso sollte man diese kostbare Zeit vergeuden, in der sich Lehrende und Studierende tatsächlich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen? Wenn ich ausschließlich Input zu liefern habe, kann ich den auch in ein Video verpacken und vor einem Termin zur Verfügung stellen. Das kann man sich beliebig oft zur gewünschten Zeit anschauen. In der Veranstaltung selbst kann ich dann darauf aufbauen und damit richtig arbeiten, Fragen dazu beantworten oder über bestimmte Aspekte diskutieren. Statt in der Uni den Stoff präsentiert zu bekommen und ihn zu Hause zu üben und zu vertiefen, wird der Spieß einfach umgedreht. Das wird daher auch Flipped Classroom genannt.
Die Idee ist mal wieder nicht neu, aber trotzdem weit davon entfernt, weit verbreitet zu sein. In meinem eigenen Studium nutzte ein Informatikprofessor aufbereitete Videos seiner Vorlesungsinhalte inklusive passender Einspieler zu besonderen Aspekten, etwa Bilder, die er im Silicon Valley gemacht hatte. Die Präsenzveranstaltungen bauten dann auf dem auf, was in den Videos schon vorgestellt wurde. Nach demselben Prinzip wird etwa in der Fachhochschule Osnabrück mit Podcasts vorgegangen.
Etwas bekannter wurde das Konzept aber jetzt – wie sollte es anders sein – durch einen Lehrer in den USA: Salman Khan hat hunderte von Videos in der Khan Academy zur Verfügung gestellt, einer Lernumgebung, in der man selbständig Lektionen bearbeiten und seine Fortschritte festhalten kann. Khan erklärt das ausführlicher in einem TEDx-Vortrag.
Warum kommt so etwas in Deutschland eigentlich nicht in die Gänge? Fehlt es an Geld? Um das Konzept überhaupt zu nutzen, braucht es eigentlich nicht viel. Christian Spannagel etwa stellt die Videos seiner umgedrehten Mathematikvorlesung einfach bei YouTube ein. Mit einer speziellen Plattform gäbe zwar sicher noch einen Zusatznutzen, aber machbar ist es auch so. Jetzt. Haben wir vielleicht einfach keine Lust dazu? Lust dazu, uns selbst ein wenig umzuwöhnen und ein paar Anstrengungen auf uns zu nehmen? Ich denke, da kommen wir der Sache schon näher. Ich kann nun zwar nur von Professoren sprechen, nicht von Lehrern, aber von deren Seite habe ich schon verschiedene Vorbehalte gehört.
1. Der Reputationsbewusste „Was, wenn ich vielleicht einmal einen Fehler mache? Dann können das ja auch andere Professoren mitbekommen.“ Sehen wir einmal davon ab, dass man die Videos nicht zwangsläufig der ganzen Welt zugänglich machen muss: Hier fürchtet jemand um seine Reputation. Kollegen könnten sich ja über eventuelle Pannen lustig machen. Studierende werden dazu angehalten, sich nicht vor Fehlern zu fürchten, selbst wollen einige Professoren aber doch lieber ein makelloses Scheinbild von sich präsentieren.
2. Der Besitzstandswahrer Ein anderer Professor fürchtete, Politiker könnten an den Arbeitsplätzen seiner Zunft sägen, weil die Aufzeichnungen sie überflüssig machen könnten. Wäre das denn möglich? So ist es jedenfalls nicht gedacht, denn die Videos sollen die Präsenzzeit nicht ersetzen, sondern ergänzen. Aber dann müssen Professoren natürlich wirklich gut lehren statt nur 90-Minuten-Monologe zu halten. In den Worten von Gunter Dueck hieße das, der Commodity-Teil kann durch Dienste im Internet erbracht werden und der Premium-Teil bleibt übrig, für den man aber professionell intelligent sein muss. Ist der Professor das nicht und bietet auch nichts, was über die Präsentation von Inhalten hinausginge, warum sollte man das nicht mit Videos abdecken? Hier kommt jedoch noch eine Befürchtung ins Spiel: Selbst wenn ein Professor professionell intelligent wäre und richtig etwas auf dem Kasten hätte, würden Politiker das nicht sehen und die Videos als vollwertigen Ersatz ansehen – und auf lange Sicht Stellen abbauen.
3. Der Gekränkte Von einem anderen Professor habe ich gehört, er hätte seine Vorlesungen aufgezeichnet und nachträglich ins Netz gestellt. Das ist zwar nicht die Idee des Flipped Classroom, aber dennoch entstehen schon hier Vorbehalte gegen Videos. Hier kam es nämlich dazu, dass kaum noch jemand die Veranstaltung besuchte. Das ist eigentlich nicht tragisch, denn mit weniger Leuten lässt sich besser interagieren und Studierende sind erwachsene Menschen und können selbst entscheiden, ob sie die Gelegenheit wahrnehmen möchten oder nicht. Offenbar sehen sie in den Videos aber einen guten Ersatz für die Vorlesungen mit den eingangs erwähnten Vorzügen. Beim Professor kommt das allerdings als Geringschätzung seiner Arbeit und vielleicht sogar seiner Person an. Indem er die Studierenden quasi drängt, seinen Vorträgen live zu lauschen, täuscht er sich zumindest selbst. „Das Haus ist voll, ich mache gute Arbeit.“
Wenn also jemand etwas wie eine deutsche Khan-Academy vorantreiben möchte, sollte er sich in meinen Augen nicht nur auf die Finanzierung und Erstellung einer Infrastruktur beschränken. Vielleicht ist es das viel größere Problem, die Menschen mitzunehmen, die bisher die Lehre leisten und denen ein Umdenken schwer fällt: „Bisher sind wir ja auch gut damit gefahren.“, „Denkt doch mal an die ganzen Risiken!“, „Das ist ein Hype, der geht vorbei, man muss nicht alles mitmachen.“ Oder können wir das vernachlässigen und uns am viel beschworenen und oft gescholtenen System doch irgendwie vorbeimogeln?
Am Mittwoch vor der Openmind-Konferenz erreicht mich abends eine E-Mail: Die Website telepolis habe angeboten, eine Auswahl der Vorträge in schriftlicher Form zu veröffentlichen. Man brauche die Beiträge aber am besten schon bis Freitag. Was habe ich getan? Nachtschicht. Müde, aber rechtzeitig fertig. Was passiert? Es genügt dann doch eine Abgabe bis Dienstag nach der Konferenz. Was passiert anschließend? Heute erscheint eine Auswahl der Beiträge, telepolis hat meinen aber leider verschmäht. Was heißt das? Ich habe wieder Inhalt für mein Blog und betreibe so etwas wie Restmüll-Marketing ;-)
UPDATE: Der Artikel hat es nun doch noch auf telepolis geschafft. UPDATE: Der Artikel ist inzwischen nicht mehr auf telepolis verfügbar.
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„Der Vorwurf, meine Doktorarbeit sei ein Plagiat, ist abstrus. Ich bin gerne bereit zu prüfen, ob bei über 1.200 Fußnoten und 475 Seiten vereinzelt Fußnoten nicht oder nicht korrekt gesetzt sein sollten und würde dies bei einer Neuauflage berücksichtigen.“ [1]
So antwortete der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg auf die Frage, ob Teile seiner Dissertation womöglich aus anderen Werken abgeschrieben worden sein könnten, ohne dass er dies ausreichend kenntlich gemacht hatte. Schnell wurde von vielen Kritikern sein Rücktritt gefordert, ebenso viele Menschen konnten aber den Wirbel um die Affäre nicht verstehen: Herr zu Guttenberg hatte ein wenig gemogelt, aber macht das nicht jeder mal? Offenbar war vielen die Bedeutung dieses Vergehens gar nicht bewusst. Ich meine, das liegt daran, dass der Wissenschaftsbetrieb für viele schlicht ein Buch mit sieben Siegeln ist, das sie nicht öffnen können.
Und tatsächlich, das Bild von der einsamen Forschung im Elfenbeinturm scheint nicht von ungefähr zu kommen. Einerseits hat die zunehmende Spezialisierung der wissenschaftlichen Disziplinen zwar dazu geführt, dass Einzelgänger es schwer haben und Ergebnisse immer häufiger nur durch Kooperation mit anderen erzielt werden können [2]. Denken Sie etwa an die großen Projekte am Kernforschungszentrum CERN. Andererseits bleiben die unzähligen Publikationen für die meisten unverständlich, bisweilen sogar für Fachkollegen, weil jenseits von notwendigen Fachbegriffen ein möglichst staubtrockener Sprachstil und möglichst kompliziert formulierte Sätze gepflegt werden. Sie taugen vielleicht zum Imponieren oder verheißen vermeintlich Qualität, erschweren aber unnötig das Verständnis. Das wusste schon Goethe: „Die Deutschen, und sie nicht allein, besitzen die Gabe, die Wissenschaften unzugänglich zu machen.“ [3] Auch Initiativen zur Förderung von Open Access dürften daran wenig ändern. Forschungsergebnisse werden durch sie zwar öffentlich zugänglich, aber nicht offen.
Popularisierung der Wissenschaft
Um den klaffenden Graben zwischen der Wissenschaftswelt und der Allgemeinheit zu verkleinern, wurde bereits im 19. Jahrhundert versucht, Spezialwissen einem größeren Publikum zugänglich zu machen: Schon damals wurden Anleitungsbücher für Hobbyforscher verfasst oder im Wissenschaftlichen Theater Lehrstücke inszeniert [4]. Was einst als Mittel der Bildung der Massen gedacht war, ruft heute jedoch eher ein Naserümpfen hervor. Populärwissenschaftliche Literatur genießt bei vielen Wissenschaftlern den Ruf des Zweitklassigen, des weniger Korrekten. Der Physiker Martin Bojowald sah sich offenbar aus diesem Grund dazu gezwungen, sich im Vorwort seines Buches „Zurück vor den Urknall“ dafür zu rechtfertigen, dass er nicht bloß für Fachkollegen geschrieben hatte [5]. Auch normale Menschen sollten das Universum und seine Theorien verstehen.
Aber hätte er das nicht Wissenschaftsjournalisten überlassen sollen, die speziell dafür ausgebildet worden sind? Sie sind schließlich geübt darin, aus den Erkenntnissen verschiedener Forscher eine stimmige Geschichte zusammenstellen und sie gleichzeitig informativ und unterhaltsam aufbereiten. Es gibt dafür heute ganz unterschiedliche Formate: Zeitschriften wie Spektrum der Wissenschaft, Fernsehsendungen wie Quarks und Co., Science Centers wie das Mathematikum in Gießen, Kinderuniversitäten und vieles mehr. Das ist schon so etwas, was man Öffentliche Wissenschaft (oder Open Science) nennen könnte. Auf diesem Wege kann nämlich schon das Verständnis für das dargebotene Wissen vergrößert werden, aber leider noch nicht für die Wissenschaft selbst oder gar die Menschen dahinter.
Verstehen Sie, was ich damit meine? Es werden zwar die Forschungsergebnisse mundgerecht präsentiert, aber die Prozesse, die zu diesen Ergebnissen führen, bleiben im Dunkeln. Außenstehende bekommen ein Produkt geliefert, können aber nicht nachvollziehen, wie es entstanden ist und welche Gedanken bei der Erstellung verfolgt und verworfen wurden. Sie sehen vor allem nicht, welche Probleme es auf dem Weg zu lösen gab, welche Fehler gemacht und welche Lehren aus ihnen gezogen wurden. Auch solche Dinge gehören zur Wissenschaft. Wenn man die weglässt, entsteht ein völlig falsches Bild. Und dann wundert man sich, wieso die Menschen nicht verstehen, was Herr zu Guttenberg so Schlimmes getan hat.
Von 1.0 zu 2.0
Nun gibt uns aber speziell das Internet die Möglichkeit an die Hand, dagegen etwas zu tun. Wir bekommen nämlich einen Rückkanal, und der ändert eine ganze Menge. Im einfachsten Fall können Wissenschaftler etwa in Blogs über Themen aus ihrem Fachgebiet berichten und Fragen von Interessierten dazu beantworten. Es wird ein zügiger direkter Austausch möglich, doch damit ist das Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft. Da ist noch Luft.
In der Wikipedia können wir nicht nur Texte lesen, sondern auch selbst mitschreiben. Auf YouTube können wir nicht nur Filme anschauen, sondern auch eigene einstellen und kommentieren. Die Unterscheidung zwischen Produzenten und Konsumenten von Inhalten weicht auf. Doch bevor wir die Bedeutung für die Wissenschaft weiter beleuchten, betrachten wir zunächst einige Beispiele.
Der Heidelberger Professor Christian Spannagel hielt – damals noch in Ludwigsburg – im Wintersemester 2008/2009 ein Seminar ab, das sich um die Didaktik der Informatik drehte [6]. Die Studierenden diskutierten in einem öffentlichen Wiki eine spezielle Theorie, Spannagel berichtete darüber in seinem Blog und per Twitter. Daraufhin stießen mehrere Externe hinzu und beteiligten sich an der Diskussion. Darunter befand sich auch der Entwickler eines speziellen Lehrkonzepts, das man kurzerhand vor Ort in einer seiner Schulklassen begutachtete. Ein Referendar wurde auf den Kurs aufmerksam, erprobte das Konzept und berichtete davon den Studierenden, die darauf aufbauen konnten und selbst Unterrichtseinheiten entwickelten. Ob das in dieser Form wohl ohne eine Öffnung des Seminars möglich gewesen wäre?
Auf wissenschaftlichen Konferenzen ist es möglich, das aktuelle Geschehen per Video-Stream ins Internet zu stellen und gleichzeitig per Twitter die Gedanken der Teilnehmer dazu zu lesen. Mehr als die Festlegung eines eindeutigen Hashtag braucht man dafür nicht. Und natürlich können auch Zuschauer rund um den Globus Kommentare beisteuern oder Fragen an den Vortragenden richten, die dieser wiederum auf einer Twitterwall sehen und bei Gelegenheit beantworten kann. Das nenne ich mal „mittendrin statt nur dabei“.
Und auch die ganz normale Forschung kann öffentlich gestaltet werden. Meine ersten Ideen halte ich oft in einem Wiki fest und bitte per Twitter oder Blogbeitrag um Anregungen dazu. Sie möchten ein Beispiel? Schauen Sie doch einmal unter http://de.wikiversity.org/wiki/Benutzer:O.tacke/Zeitschrift_fuer_E-Learning-2011 nach. Da kamen viele gute Anregungen zusammen, auch wenn der Beitrag nachher abgelehnt wurde. Gerade diese Rückmeldungen können zeigen, wo noch Schwierigkeiten bestehen oder Dinge offen geblieben sind. Auch der Meeresforscher Stefan Rahmstorf berichtet davon, durch Fragen der Leser seines Blogs schon auf neue Anregungen gekommen zu sein [7]. Sie können sich das allerdings über den ganzen Forschungsprozess denken. Das muss nicht bei der Ideensammlung stehenbleiben, Sie können auch den ganzen Beitrag online mit anderen verfassen und Interessierte können zwischendurch etwas beisteuern – auch dazu werden Sie ganz aktuell etwas bei mir finden. Wenn ich schließlich fertig bin, könnte ich auch öffentlich darum bitten, den Text zu begutachten, bevor ich ihn bei einer Zeitschrift einreiche. All das funktioniert tatsächlich.
Und alle diese Beispiele würde ich mit Open Science 2.0 betiteln. Es geht nicht um das Präsentieren von fertigen Inhalten, sondern um das Erstellen, Prüfen, Verbessern dieser Inhalte durch Forscher, Praktiker und begeisterte Amateure. Wer an der Entwicklung von Wissen mitwirkt, versteht viel besser, was Wissenschaft eigentlich ausmacht und bedeutet. Andersherum bleiben Forscher vielleicht eher auf dem Boden der Tatsachen und erhalten so den Blick für das Ganze zurück, der bei ihrer Spezialisierung verloren gegangen sein könnte. Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt ist jedenfalls der Ansicht, Wissenschaft sei „eine zur sozialen Verantwortung verpflichtete Erkenntnissuche“ und müsse sich um die großen Menschheitsprobleme wie Überbevölkerung, Klimawandel, Globalisierung der Ökonomie oder die weltweite militärische Hochrüstung kümmern [8]. Dabei ist die Kooperation Vieler gefragt, unabhängiger Experten ebenso wie betroffener Amateure.
Am Ziel? Jetzt wird es doch erst spannend!
Das klingt alles toll, oder? Aber vielleicht haben Sie sich oben an so mancher Stelle schon am Kopf gekratzt und gefragt, wie das denn alles gehen soll. Experten sollen mit Laien zusammen etwas entwickeln, ist das denn möglich? Die Frage stellen sich einige Unternehmen auch, wenn sie versuchen, Produkte und Dienstleistungen zusammen mit Lieferanten oder Kunden zu entwickeln. Betriebswirte nennen das Open Innovation, und da gibt es viele Ähnlichkeiten zur Open Science, die ich in einem anderen Artikel schon beschrieben habe [9].
Aber zurück zur Frage: Geht das denn? Es gibt manche, die auf die Theorie der sogenannten operational geschlossenen Systeme von Niklas Luhmann zurückgreifen und daraus folgern, da könne nichts Brauchbares für die Wissenschaft bei herauskommen – Wissenschaftler würden Praktiker nicht verstehen und andersherum [10]. Andere halten dagegen [11]. Das ist auch gar nicht so einfach zu beantworten, das ist alles ziemlich neu, und tatsächlich gibt es noch viele offene Fragen!
Ich bin jemand, der gerne gleich ausprobiert und manche Sachen klappen bisher gar nicht, andere schon ganz gut. Ich möchte mehr öffentliche Wissenschaft. Ich verstehe aber auch Einwände, die sich wie „Das geht nicht, weil!“ anhören. Die müssen gar nicht bedeuten, dass die Idee grundsätzlich abgelehnt wird, aber dass möglicherweise einige Vorschläge noch nicht wirklich ausgereift sind. Kategorische Nein-Sager wird es allerdings auch immer geben. Also werde ich mich hier auch nicht hinstellen und verkünden, genau so oder so müsste das gemacht werden. Ich habe nicht alle Antworten – nur ein paar. Daher stelle ich einfach einige Fragen zusammen, die mir diskussionswürdig erscheinen und lade Sie dazu ein, die Liste zu ergänzen und miteinander darüber zu diskutieren.
Fragen zur Diskussion
Gefährde ich als seriöser Wissenschaftler nicht meinen guten Ruf und meine Karriere, wenn ich öffentliche Wissenschaft betreibe?
Kann sich dann nicht jeder an meinen Ideen bedienen und mir damit etwas wegnehmen?
Wie bringe ich vielleicht fremde Leute dazu, zusammen mit mir oder Studierenden an einem Thema zu arbeiten? Will da überhaupt jemand mitmachen?
Frisst das nicht viel Zeit, die man besser anders nutzen sollte?
Wird der Wissenschaftsjournalismus überflüssig?
Welche technischen Instrumente eignen sich am besten für welche Phase der Forschung?
Welches Vorgehen eignet sich am besten für welche Phase der Forschung?
Was passiert, wenn Unternehmen an der Forschung beteiligt sind und Betriebsinterna berührt werden?
Können auch Unternehmen davon profitieren, indem Kooperation nicht nur mit Universitäten stattfinden, sondern zusätzlich mit anderen Interessierten?
Soll jetzt jeder dazu gedrängt werden, öffentliche Wissenschaft zu betreiben?
Welche Voraussetzungen müssen Wissenschaftler und andere Beteiligte dafür überhaupt mitbringen?
[2] Vgl. Gläser, Jochen; Lange, Stefan (2007): Wissenschaft, in: Arthur Benz et al. (Hrsg.): Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder, Wiesbaden, S. 437-451, hierzu speziell S. 447.
[3] Goethe, Johann Wolfgang von (1830): Goethe’s Werke: Vollständige Ausgabe letzter Hand. 22. Band: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die entsagenden, 2. Buch, Stuttgart, Tübingen, S. 249.
[4] Vgl. Daum, Andreas W. (2006): Popularisierung von Wissenschaft im 19. Jahrhundert, in: Faulstich, Peter (Hrsg.): Öffentliche Wissenschaft, Bielefeld, S. 33-50.
[5] Vgl. Bojowald, Martin (2009): Zurück vor den Urknall, Frankfurt am Main, S. 9.
[6] Vgl. Spannagel, Christian; Schimpf, Florian (2009): Öffentliche Seminare im Web 2.0, in: Apostolopoulos, Nicolas et al. (Hrsg.): Lernen im Digitalen Zeitalter, Berlin, S. 13-20., hierzu speziell S. 17-18.
[9] Vgl. Tacke, Oliver (2010): Open Science 2.0: How Research and Education can benefit from Open Innovation and Web 2.0, in: Bastiaens, Theo J.; Baumöl, Ulrike; Krämer, Bernd J. (Hrsg.): On Collective Intelligence, Berlin, Heidelberg, S. 37-48.
[10] Vgl. zum Beispiel Kieser, Alfred; Leiner, Lars (2010): Kollaborative Managementforschung – Eine Brücke über den Rigor-Relevance Gap?, in: ZfB – Zeitschrift für Betriebswirtschaft (Sonderausgabe Mixed Methods in der Managementforschung), 80. Jg., Nr. 5, S. 89-113.
[11] Vgl. exemplarisch Hodgkinson, Gerard P.; Rousseau, Denise M. (2009): Bridging the Rigour-Relevance Gap in Management Research: It’s Already Happening!, in: Journal of Management Studies, 46. Jg, Nr. 3, S. 534-546.