Seit einiger Zeit schon beschäftigt mich das Thema Öffentliche Wissenschaft und brachte mich vor drei Jahren dazu, ein öffentliches Hochschulseminar zu konzipieren. Ich habe es zweimal durchgeführt, ausgewertet, mir weitere Gedanken dazu gemacht – und nun bin ich mit dem Thema eigentlich durch. Ich finde es immer noch spannend, habe aber nach einem Stellenwechsel keine wirkliche Gelegenheit mehr, es weiter zu verfolgen. Aus diesem Grund nutze ich diesen Platz, um die Ideen und Ergebnisse überblicksartig festzuhalten und an der einen oder anderen Stelle auf tiefer gehende Quellen dazu zu verweisen.
Was habe ich mir dabei gedacht?
Typische Ziele von Hochschulseminaren sind mehr oder weniger konkret das Vertiefen von Fachwissen und der Erlernen oder Üben wissenschaftlichen Arbeitens. Bei mir kam zusätzlich der Gedanke der Teamarbeit ins Spiel. Sie gilt in der Praxis als wichtig, daher sollten auch Erfahrungen damit gesammelt werden – so weit so platt. Speziell beim Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten gibt es jedoch seit langem einen Trend dahin, dass Texte von mehreren Personen geschrieben werden. Damit lässt sich schon schlüssiger begründen, weshalb auch bei Seminararbeiten bewusst in Teams gearbeitet werden soll.
Die Überlegungen führten schließlich dazu, die Texte gemeinsam in einem Wiki verfassen zu lassen, denn genau für diesen Zweck wurde es konzipiert, und es hält dafür auch einige nützliche Funktionen bereit. Andere Instrumente hätten ebenfalls genutzt werden können, aber es gab noch einen weiteren Baustein, der die Entscheidung beeinflusste: Öffentliche Wissenschaft. Nach meinem Verständnis ist damit auch gemeint, „theoretische Forscher“ und „praktische Anwender“ näher zusammen zu bringen und gemeinsam neues Wissen zu entdecken [1]. Hier lautet das Schlagwort Transdisziplinarität. Um sie zu fördern, sollten die Website des Kurses und speziell die zugehörigen Texte der Studierenden möglichst einfach öffentlich auffindbar und zugänglich sein und auch von Externen bearbeitet werden können. Das geht nach meinem Empfinden prima mit Wikis. Außerdem hatte ich als Betreuer damit die Möglichkeit, mich jederzeit über den aktuellen Stand der Studierenden zu informieren – sogar mittels einer automatisch generierbaren grafischen Auswertung – und bei Bedarf frühzeitig zu unterstützen. Das folgende Video erklärt die Idee vielleicht etwas anschaulicher:
Wie lief das ab?
Bevor sich überhaupt jemand für das Seminar anmelden konnte, gab es eine Informationsveranstaltung. Ich wollte nämlich niemanden zur Arbeit in der Öffentlichkeit zwingen. Es konnte sich jede/jeder frei entscheiden, ob sie/er an einem „klassischen“ Seminar teilnehmen möchte oder an meiner Variante. Zudem musste diese Entscheidung nicht sofort getroffen werden. Die Website war bereits vorbereitet, und alle Informationen einschließlich der Themenangebote konnten im Vorfeld ausgiebig begutachtet werden – eigene Themenvorschläge waren ebenso möglich. Resultat: Die Kurse waren gut gefüllt.
Los ging es mit einem Kick-Off-Termin, an dem wir uns gegenseitig kennengelernt haben, Details geklärt wurden und die Studierenden sich endgültig in Kleingruppen zusammenfanden, falls das nicht bereits im Vorfeld geschehen war. Notiz am Rande: Es gab nur eine Gesamtnote pro Kleingruppe, andernfalls wäre das Bestreben nach Teamarbeit in gewisser Weise ad absurdum geführt worden.
Über das Semester verteilt gab es immer wieder freiwillige Präsenztermine, die am jeweiligen aktuellen Bedarf der Studierenden ausgerichtet waren. Die Online-Arbeit im Wiki und die Live-Phasen griffen damit ineinander. Zu Beginn gab es beispielsweise eine Veranstaltung zu „Was ist eigentlich Wissenschaft?“, später hätte dies etwa die konkrete Benutzung des Wikis sein können. „Hätte es sein können“, denn der Bedarf war gar nicht gegeben. Eine Vorlage mit den üblichen Verdächtigen in wissenschaftlichen Arbeiten (Textauszeichnung, Abbildungen, Fußnoten, usw.) genügte, der Rest erklärte sich von selbst oder zügig per Direktaustausch per E-Mail oder in einer Sprechstunde. Wenn das Wiki gar über einen Editor mit WYSIWYG-Option verfügt hätte, hätte es wohl gar keine Problemfälle gegeben.
Zwischendurch habe ich immer wieder in die Texte hineingeschaut und bei Auffälligkeiten Hinweise gegeben. Außerdem habe ich ein wenig Werbung gemacht, um Außenstehende zur Mitarbeit zu bewegen. Ansonsten lief alles ab, wie ich es auch zuvor in Seminaren gehandhabt hätte.
Was kam dabei heraus?
Ich habe die Studierenden beider Kurse im Nachgang zu verschiedenen Aspekten befragt [4], von denen besonders die Rückmeldungen zur Öffentlichkeit interessant waren. Die überwiegende Mehrzahl der Studierenden hatte nämlich keine Bauchschmerzen damit, dass Außenstehende jederzeit einen Blick in den aktuellen Stand ihrer Arbeit werfen konnten. Im Gegenteil, sie fanden es eher positiv, dass andere sie mit Anregungen unterstützen durften. Einen Haken hatte die Sache allerdings: Es ist gar nicht so viel passiert. Die Beteiligung von außen hielt sich in sehr engen Grenzen. Externe müssten besser eingebunden werden, vielleicht als Kopplung mit externen Kursen. Außerdem müsste ihnen besser verdeutlicht werden, was sie davon haben können, wenn sie sich einbringen. Nützlich war die Öffnung der Veranstaltung aber auch für einen ganz anderen Zweck: Ein zeitgleich laufender Kurs zum wissenschaftlichen Arbeiten konnte die Ausarbeitungen aus dem Seminar permanent als Anschauungsobjekte nutzen [2].
Genau von diesen Ergebnisse durfte ich kürzlich per Live-Schalte in einer Fortbildung zum E-Learning berichten. Die zugehörigen Schaubilder gibt es natürlich auch online:
Interessant scheint das Konzept in also zu sein. Es wird inzwischen auch an den Unis in Wien und Hildesheim und an der FH in Vorarlberg genutzt und weiterentwickelt.
Wie geht es weiter?
Wie eingangs erwähnt, habe ich derzeit keine Gelegenheit, das Seminar weiter durchzuführen und konzeptionell zu verbessern. Nachdenken kann ich aber noch. Eine bewusste Kopplung mit Weiterbildungsveranstaltungen in Unternehmen oder auch mit Volkshochschulen könnte beispielsweise den Austausch mit Praktikern fördern [3]. Bei dem aktuellen Hype um MOOCs habe ich außerdem zumindest mit Gedanken gespielt und überlegt, ob die Öffnung der Veranstaltung nicht besser gelingen könnte, wenn sie etwas moocifiziert würde [5]. Könnte, muss aber nicht. Für mich ist der Fall damit erst einmal geschlossen, auch wenn ich demnächst noch auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medien in der Wissenschaft und eventuell im BarCamp-Teil der OER-Konferenz der Wikimedia Foundation etwas dazu erzählen darf.
Material
Optisches
- Erklärvideo auf YouTube: http://www.youtube.com/watch?v=rAI_I2GjBII
- Schaubilder http://de.slideshare.net/otacke/ffentliche-seminare-in-wikis-ein-paar-erfahrungen
Websites von Kursen, die das Konzept nutzen
- http://de.wikiversity.org/wiki/Kurs:Teams_SoSe10 (Oliver Tacke, TU Braunschweig)
- http://de.wikiversity.org/wiki/Kurs:Wissen_SoSe11 (Oliver Tacke, TU Braunschweig)
- http://de.wikiversity.org/wiki/Kurs:Internet-Marketing (Michael Kempe, Uni Hildesheim/Uni Wien)
- http://de.wikiversity.org/wiki/Kurs:Team_und_Kommunikation_2 (Falko Wilms, FH Vorarlberg)
Artikel
- [1] Tacke, Oliver (2010): Open Science 2.0: How Research and Education can benefit from Open Innovation and Web 2.0, in: Bastiaens, Theo J.; Baumöl, Ulrike; Krämer, Bernd J. (Hrsg.): On Collective Intelligence, Berlin, Heidelberg: Springer, S. 37-48.
- [2] Tacke, Oliver; Hobus, Björn (2010): Learning to integrate knowledge: experiences with public wikis in academic seminars, in: Learning Technology, 12. Jg., Nr. 3, S. 21-23.
- [3] Spannagel, Christian; Tacke, Oliver (2012): Lebenslanges Lernen und öffentliche Wissenschaft im Web 2.0, in: Hessische Blätter für Volksbildung, 62. Jg., Nr. 4, S. 335-343.
- [4] Tacke, Oliver (2013): Seminararbeiten in öffentlichen Wikis verfassen – Einschätzungen aus der Perspektive von Studierenden und der Lehrperson im Fach Betriebswirtschaftslehre, URL: https://publikationsserver.tu-braunschweig.de/receive/dbbs_mods_00051378?q=Oliver%20Tacke.
- [5] Tacke, Oliver (2013): MOOCs zwischen C und X Aufwind für öffentliche Seminare?, in: Bremer, Claudia; Krömker, Detlef (Hrsg.): E-Learning zwischen Vision und Alltag, Münster, u. a.: Waxmann, S. 28-32.
Ich traue mich ja gar nicht, etwas zu posten, da Du damit „abschließt“. Dennoch muss ich doch was zum „Moocifizieren“ sagen, da wir hierbei im SOOC Erfahrungen sammeln: Das Problem ist dabei immer: willst und kannst Du die Anrechnung von CPs für extern Teilnehmer sicherstellen? Wir hätten sicher eine Vielzahl mehr Anmeldungen, wenn wir das könnten, aber rein von der (Wo)Menpower sind wir mit „unseren“ Studenten gut ausgelastet. Die externen Teilnehmer bräuchten daher eine andere Motiation… Oder hast Du noch andere Ideen?
Yup, eine Idee habe ich – ob die nun gut ist oder schlecht, sei einmal dahingestellt. Stand auch in der Erstfassung des Beitrags drin, ist aber der Überarbeitung zum Opfer gefallen. Fünf Seiten sind dann doch weniger als ich dachte.
Denkbar ist es etwa, das über einen GasthörerInnen-Schein abzubilden. Nicht-Studierende können sich beispielsweise an der TU Braunschweig für bis zu acht Semesterwochenstunden einschreiben, wenn der Dozent/die Dozentin zustimmt. Auf dieselbe Weise können Nicht-Studierende auch Prüfungsleistungen erbringen. Kostet dann zwar Geld, aber die Offenheit eines MOOCs sehe ich dadurch nicht gefährdet: Wer ohne (formale) Zertifizierung teilnehmen möchte, könnte das ja immer noch. Vgl. https://www.tu-braunschweig.de/studieninteressierte/bewerben/glossar/gasthoerer