Bekanntlich achten Menschen eher auf das, was sie suchen. Vielleicht entspringt dieser Blogbeitrag daher einfach meiner Wahrnehmung, aber sein Thema beschäftigt mich schon eine Weile und ist bei mir gerade präsent. Ich werde meine Gedanken hier einfach mal los ohne Anspruch auf Poesie oder Ausgeburt an Weisheit. Es geht um Angstland.
Angst entdecke ich schon, wenn ich meine Mutter besuche. Sie zieht nach Gebrauch des Toasters den Stecker. Er könnte ja Feuer fangen — weil das irgendwann irgendwo mal irgendjemandem passiert sein soll. Auch sonst sorgt sie sich gefühlt ständig darum, was nicht alles passieren könnte. Ich glaube, das war früher noch nicht so ausgeprägt. Frage ich nach dem Ursprung ihrer Sorge, ist die Antwort fast immer ein Bericht aus den Medien. Das erinnert mich schwer an den Dokumentarfilm Bowling for Columbine. Michael Moore legt darin nahe, dass die Medien eine Atmosphäre der Angst verbreiten, indem sie der Bevölkerung ununterbrochen Bedrohungen vor Augen führen.
Nicht ängstlich, aber wirklich nachdenklich machen mich die Medien auch — nämlich dann, wenn sie über die Angst im Lande berichten: Offenbar ist man in manchen Regionen mit einem Stuttgarter Dialekt und Raclette im Kofferraum schon des Terrors verdächtig. Ist kaum ein Wunder, wenn die Regierung kaum ein drängenderes Thema zu kennen scheint und immer wieder neue Gesetze erlassen möchte, die angeblich irgendwie vor Anschlägen schützen sollen. Jüngstes Beispiel ist die angestrebte Beschränkung von Bargeldzahlungen, oder gibt es schon etwas Aktuelleres?
Du, Sergej, den Sprengstoff und die fünfzig Kalaschnikow zahle ich heute mit EC-Karte, ne?!
Nee, is klar. TerroristInnen werden dann bestimmt per Klarname, SEPA-Lastschrift und dem Betreff „terroristische Mordwerkzeuge“ ihre Waffen kaufen. Aber wenn man perfide das unterschwellige Bedrohungsgefühl in der Bevölkerung ausnutzt, dann stören sich womöglich nicht so viele an den neuen Gesetzen. Besonders gut funktioniert das in Deutschland in der Politik gerade auch mit der Angst vor… Ja, vor was eigentlich? Vielleicht hat Jan Böhmermann mit „Du für Deutschland“ die Antwort?
Sehr lebendig ist das mit der Angst für mich beim Thema Technik wahrscheinlich, weil ich mich als halber Informatiker vermehrt damit beschäftige. Jenseits von Fahrzeugen mit Benzinmotoren wird Deutschen schon einmal Technikfeindlichkeit attestiert. In der Bildungsecke begegne ich ihr jedenfalls immer wieder.
Ich brauche das nicht. Ich arbeite mit Menschen. (Zitat von jemandem aus der Hochschuldidaktik)
Harmlos finde ich noch Aussagen wie diese, denn dahinter stecken wohl eher Unkenntnis (soziale Medien heißen ja nicht so, weil da Computer miteinander interagieren), ein Schuss Face-To-Face-Romantik und lediglich die Angst, sich selbst mit einer Thematik auseinanderzusetzen, mit der man überhaupt nicht vertraut ist. Regelrecht erschreckt bin ich aber stets von Reaktionen à la Digitale Demenz anno 2012 oder den gerade aufziehenden Disputen rund um Big Data in der Bildungswelt.
Ich mag Technik gern, ja, und greife darauf auch gerne in Lehr-Lern-Szenarien zurück. Ich bin aber (hoffentlich) ebenso bekannt dafür, das nicht blind zu tun. Ich trenne bloß nicht in „digitales Lernen“ und „analoges Lernen“ (dazu empfehle ich „E war einmal“ von Thomas Czerwionka) und schaue, was ich vom einem wie vom anderen gebrauchen kann; was geht und was nicht; nicht alles, aber auch nicht gar nichts.
Warum Potenziale des Neuen nicht ausloten statt gleich Angst vor der nahenden Apokalypse zu verbreiten? Anstatt zu überlegen, was vielleicht möglich wird, wird in Deutschland lieber zuerst überlegt, was schiefgehen könnte. Wenn man sich dann irgendwann auf einen vorsichtigen Kompromiss geeinigt hat, muss bloß noch eine Weile geklärt werden, wer im Zweifel Schuld ist…
Vielleicht erstreckt sich Angstland aber auch nicht bloß von den äußersten Zipfeln Schleswig-Holsteins bis Bayerns und Rheinland-Pfalzes bis Sachsen-Anhalts. In den USA scheint es inzwischen so zu sein, dass Kinder aus Sorge vor diffuser Gefahr nicht einmal mehr allein draußen spielen sollen und auf Schritt und Tritt überwacht werden.
Decreased crime rate… is not no crime rate! (Zitat einer Psychotherapeutin)
Trotz gesunkener Kriminalitätsrate steigt die Furcht davor. Offenbar wächst sogar im eigentlich so freiheitsliebenden Amerika der Wunsch nach garantierter Sicherheit. Aus Angst. Angstland allerorten.
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