Freie Bildungsmaterialien (Open Educational Resources oder kurz OER) sind eigentlich eine tolle Sache: Man versteht darunter Inhalte, „die mit einer urheberrechtlichen Lizenz versehen sind, die die Veränderung, das Remixen und die Weitergabe nicht verbietet, sondern ausdrücklich erlaubt.“ [1] Sie sollen Lehrenden das Leben beim Erstellen von eigenem Material erleichtern, etwa wenn sie eine Abbildung zur Veranschaulichung eines Themas benötigen. Statt selbst alles neu zu zeichnen, kann ohne große rechtliche Probleme kostenlos auf Bewährtes anderer zurückgegriffen werden.
Es gibt zwar einige Projekte und Plattformen, die sich dem Thema angenommen haben, aber wirklich in die Gänge gekommen ist die Idee noch nicht. Material in der einen oder anderen Form dürfte von den meisten Lehrenden erstellt werden – Schaubilder, Abbildungen, Texte, Videos, … – ihre Ergebnisse teilen sie doch eher selten mit anderen. Damit allein wäre es aber auch nicht getan, denn es gibt noch andere Hürden zu überwinden. Die möchte ich in diesem und vielleicht weiteren Beiträgen einfach als Denkübung für mich selbst strukturieren und mit Verweisen anreichern, aber möglicherweise interessiert sich auch jemand anderes dafür.
Einstiegshürde Offenheit
Das Thema Offenheit ist in meiner Wahrnehmung in der Hochschulwelt kein einfaches. Den eigenen Forschungsprozess für andere sichtbar(er) zu machen, geht schon einmal gar nicht – viel zu groß ist häufig die Befürchtung, ein anderer könne „Ideen stehlen“ und die Lorbeeren ernten. Dazu sagte Christian Spannagel herausfordernd: „Wer Angst hat, dass ihm Ideen geklaut werden, der hat nicht genug.“ [2] In der Lehre ist das nicht unbedingt anders. Es gibt dort zwar auch Lehr-Lernsituationen, in denen Öffentlichkeit ein zweischneidiges Schwert ist [3], aber die Angst vor Ruhm- oder Kontrollverlust existiert dort ebenso. Ein Beispiel lieferte kürzlich Jörn Loviscach, der zum Thema MOOCs etwas gefragt wurde: [4]
Anfrage: „Gibt es eine Möglichkeit, das Abspeichern von MOOCs und die unkontrollierte Verbreitung zu verhindern?“ — Ein Beispiel zur Pervertierung des Begriffs „offen“.
Der Grund für eine solche Frage könnten urheberrechtliche Bedenken gewesen sein. Eventuell bestand eine Furcht vor Kontrollverlust [5] über den Bereich hinaus, der von §52a UrhG noch gedeckt ist (es wäre allerdings meines Wissens von Lehrenden gar nicht zu verantworten, wenn andere geschütztes Material veröffentlichen, das rechtmäßig in der Lehre verwendet wurde). Zumindest denkbar ist aber auch, dass Unterlagen explizit nicht weitergegeben werden sollen, etwa damit sie vor Studierenden in Folgesemestern bis zu einem bestimmten Termin verborgen bleiben, oder damit sich „Konkurrenten“ nichts davon aneignen. Diese Ängste sind nicht aus der Luft gegriffen. In einer Befragung zu Nutzungshemmnissen der Lehrportfolio-Plattform der TU Braunschweig traten sie tatsächlich ans Licht. Es wurde angeführt, dass im Portfolio abgelegte Lehrideen oder Konzepte abgegriffen werden könnten, die jemand anderes nutzt und dann ihr/ihm zugeschrieben werden.
Das Problem: Offenheit ist eine Einstellung. Die Bereitschaft, sein eigenes kostbares Wissen zu explizieren und ohne unmittelbare Erwartung an eine „Belohnung“ mit beliebigen anderen zu teilen, muss überhaupt erst einmal gegeben sein. Dafür braucht es einen gewissen Hang zu idealistischer Weltverbesserung [6]. Ich habe den Eindruck, das ist im akademischen Kontext noch nicht so stark der Fall – in einigen Bereichen oder Fächern stärker als in anderen. Diese Hürde dürfte es zunächst einmal zu überwinden geben, damit eine richtige OER-Welle ins Rollen kommen kann. Das allein genügt jedoch nicht. Nur weil Menschen dazu bereit sind, die von ihnen erstellten Lehrmaterialien mit anderen zu teilen, muss sich nichts Großes entwickeln. Dafür gibt es zahlreiche weitere Hürden zu überwinden – dazu mehr vielleicht in einem Folgebeitrag.
Quellen
[1] Muuß-Meerholz, Jöran (2013): Geteiltes Wissen. Deutschland und die EU entdecken Open Educational Resources, in: c’t, 31. Jg., Nr. 24, S. 182-184.
[2] Grün, Gianna-Carina (2012): „Wer Angst hat, dass ihm Ideen geklaut werden, der hat nicht genug“, URL: http://www.zeit.de/wissen/2012-05/open-science/komplettansicht (zuletzt abgerufen am 12.11.2013).
[3] Hofhues, Sandra (2010): Die Rolle von Öffentlichkeit im Lehr-Lernprozess, in Mandel, Schewa; Rutishauser, Manuel; Seiler Schiedt, Eva (Hrsg.): Digitale Medien für Lehre und Forschung , Münster: Waxmann, S. 405–414.
[4] Loviscach, Jörn (2013): Anfrage: Gibt es eine Möglichkeit…, URL: https://plus.google.com/108274094993719308695/posts/4HGMUscLnay (zuletzt abgerufen am 12.11.2013).
[5] Dröscher, Stefan; Kortemeyer, Gerd; Riegler, Peter (2013): „Openness“ – Weniger ist mehr?, in: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 8. Jg., Nr. 4, S. 12-25.
[6] Mayrberger, Kerstin; Hofhues, Sandra (2013): Akademische Lehre braucht mehr „Open Educational Practices“ für den Umgang mit „Open Educational Resources“ – ein Plädoyer, in: Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 8. Jg., Nr. 4, S. 56-68.
So true. Umso mehr mag ich die pragmatischen und konsequenten Ansätze, die mit der CC-BY-SA-Lizenz im Einklang stehen: OER müssen frei bleiben und dürfen nur in freien Lizenzen verwendet werden.
Genau das erfahre ich auch von der Community: man gibt etwas rein und das wird sich später (wahrscheinlich/vermutlich/vielleicht) wieder auszahlen. Ich persönlich bekomme so viel zurück, dass ich letztendlich von meiner (angestrebten) Offenheit auch „profitiere“. Wir habe Experten im SOOC, die einfach so bereit sind, einen Gastbeitrag zu liefern. Gleichermaßen war Honorar nie in der Diskussion, als bspw. Ihr mich für einen Gastbeitrag im Seminar angefragt habt. Und das ist gut so, wenn das im Rahmen der Hochschulanstellung und für Hochschulen passiert (bei Glitzerpräsentationen für Firmen mag das was anderes sein).
Umso mehr finde ich Ideen gut, die eben genau sowas unterstützen. Auch auf die Gefahr hin, dass ich hier Werbung für einen früheren Arbeitgeber mache – in diesem Fall mache ich die sehr gern: Open KnowledgeWorker (http://www.openknowledgeworker.com/en/) ist ein LCMS/Autorentool, mit denen kostenlos Inhalte erstellt werden können (aktuell noch Open Beta). Der Gedanke dabei ist: Wer diese offene Plattform nutzt um Lerninhalte kostenlos zu erstellen MUSS diese wieder für andere Nutzer freigeben. Damit gibt es zwar noch die Schranke des Systems, aber innerhalb dessen wird die Weiterverbreitung der Inhalte gefördert und gefordert.
Sowas brauchen wir mehr. Und vor allem mehr Commitment der Hochschulen und folglich der Politik. Wenn „von oben“ gefordert würde, dass Publikationen und Lehrmaterial offen gestellt werden sollen… aber das ist wohl zu utopisch…
Ich kann mich dir nur anschließen, ich bekomme auch unglaublich viel zurück. Vielleicht ist bei vielen aber ein negatives Menschenbild so tief verankert, dass sie nicht einmal bereit sind, eine Art Vertrauensvorschuss zu leisten.
Mehr Commitment „von oben“ hielte ich auch für nötig, aber gerade da sehe ich große Hürden – auch speziell vor Ort. Lokale Hochschulpolitik und schlägt bundes- oder weltweite Chancen für die Bildung.